Eine Transalp ist für Radsportler nichts Besonderes. Aber ohne Schaltung und Freilauf wird es schon ziemlich verrückt. Die beiden Radsportvereine „Heaven and Hell“ und „Stuttgarter Velohelden“ haben genau das getan: auf Fixies quälten sich zehn Fahrer über die Alpen, von Genf nach Nizza.

Mit zwei Übersetzungen nach Nizza. 49/16 und 49/18. „Das 18er Ritzel für wirklich steile Anstiege und das 16er für den Rest“
Knackig: Im Schnitt 25 Kilometer Anstieg pro Tag mit einer Durchschnittssteigung von sechs Prozent. Fixed.
Route to Nizza: 500 Kilometer und 9000 Höhemeter in 4 Tagen.

Text: Florian Winter (mit freundlicher Genehmigung von Bruegelmann.de) /  Fotos: Lucas Hofer, Video: Fabian Freitag

Das erste Mal begegneten „Himmel und Helden“ sich beim Rad Race Bergfest 2016, wo zumindest erste Bande geknüpft wurden. Ende 2016 setzte man sich mit anderen Clubs an einen Tisch, um Ausfahrten abzusprechen, sodass man sich einerseits nicht gegenseitig die Mitfahrer wegnahm und andererseits, um auch mal gemeinsam zu fahren.

Die Gruppe ist übrigens so bodenständig wie durchmischt, der klassische Schnitt durch die Gesellschaft, den vor allem die Liebe zum Radfahren eint: Familienväter, Produktmanager, Hobbyfilmer, Häuslebauer oder Studenten, die nicht nur auf dem Fixie, sondern auch auf normalen Rennrädern, Mountainbikes oder sogar BMX zuhause sind.

Durch die Organisation kam sich diese Gruppe schließlich nicht nur auf dem Rad näher, sondern verstand sich auch immer besser – warum sollte man da nicht auch mal gemeinsam eine größere Ausfahrt wagen? Das erste Mal klappte das bei der Rad Race „Tour de Friends“. Marc von „Heaven and Hell“ erzählt: „Wir haben uns als Kesseln.cc zur Tour de Friends angemeldet. Ein Team mit 16 Fahrern aus dem Kesseln-Kreis. Ganz klares Ding, alle fahren Rennrad und haben eine gute Zeit. Problem war: ich besaß keinen Schalter!“ Aus der Not wurde die Tugend geboren und Marc schaffte es, auch andere dazu zu überreden, mit ihm zusammen die Tour ohne Schaltung zu fahren. „Ich habe etwas rumgestachelt und zack waren Andi (Heaven and Hell) und Hannes (Stuttgarter Velohelden) überzeugt“, erzählt Marc lachend.

Am Ende zogen die Jungs die „Königsetappe“ im 30er Schnitt durch und schafften es, fixed in die Top50 der „Tour de Friends“-Wertung zu fahren. Diese Erfahrung zeigte, dass es durchaus möglich und realistisch war, fixed durch die Alpen zu donnern. Was macht man mit dieser Erkenntnis? Richtig, die nächste Alpenüberquerung planen! Also telefonierten sich Marc vom HHCC und Hannes von den SVH zusammen und planten ihr nächstes Abenteuer.

Und eine Herausforderung sollte es werden: Von München nach Venedig in vier Tagen, davon 200 Kilometer und 2.000 Höhenmeter alleine am dritten Tag. „Wir haben uns dann für zwei Gänge entschieden, 49/16 und 49/18“, berichtet unser Kontaktmann zu Heaven and Hell. „Das 18er Ritzel für wirklich steile Anstiege und das 16er für den Rest. 49/16 fahre ich hier im Ländle für alle Strecken und Distanzen, 49/18 auf dem Stadtfixie, um eben nicht zu stark ins Schwitzen zu kommen im hügeligen Stuttgart.“

Die Route:

Letztlich gab es drei Alternativen: 1. München nach Mailand: Laut Marc zu einfach das Ding, “würde ich direkt morgen los“. 2. Von Innsbruck irgendwo ans Meer: „Zu einfach das Ding, würde ich direkt morgen los“. 3. Von Genf nach Nizza: „Marc, wenn wir das fahren, werden wir zu Legenden“, sagte Hannes mit Feuer in der Stimme. Col du Madeleine, Telegraph, Galibier – hier wurde Geschichte geschrieben und dann noch Col de Vars, d’Allos und Champs. Das würde ein echtes Brett werden! „Naiv wie ich bin habe ich einfach ja gesagt. Sollte ja schließlich ein Brett werden“, wundert sich Marc auch nach der Aktion noch. Am Ende entschied man sich aber (natürlich) für die dritte Route.

Planung:

„Als wir dann detailliert die Strecke geplant haben, wurde uns so langsam bewusst, auf was wir uns eingelassen hatten: Im Schnitt 25 Kilometer Anstieg pro Tag mit einer Durchschnittssteigung von sechs Prozent. Fixed. Inklusive den Abfahrten und den Zubringern zu den Pässen. „Im Prinzip war das eine ordentliche Schaltertour!“, gesteht Marc. Auf die Frage, ob sie ihre Bikes auf die Aktion vorbereitet haben, sagt Marc: „Das einzige, was sofort klar war: Bremse vorne! Abfahrt im Regen ohne Bremsen, nur mit Kontern und Skidden würde ziemlich sicher im Graben enden.“ Eine kluge Entscheidung, bedenkt man die Pässe und Bergstraßen, die es zu bezwingen galt. Für die Gruppendynamik wählten alle ähnliche Übersetzungen, damit die Gruppe am Berg nicht auseinander reißen würde. Aber auch beim Lenker wurde diskutiert und individualisiert: „Vom überbreiten 480-mm-Dropbar bis zum Riser mit Hörnchen kam alles zum Einsatz.“

Bereits in unserem ersten Gespräch gestand uns Marc, dass die Tour letztlich schlimmer klang, als sie wirklich war. Aber warum? Einfach eine Frage der Erwartungshaltung? „Wir haben uns schon Gedanken gemacht, mit wie vielen Stopps wir rechnen müssen pro Anstieg, wer eventuell komplett versagen würde und ins Auto müsste. Wobei wir klar definiert hatten, dass das Auto nur bei gesundheitlichen Beschwerden und nicht wegen Rumweicheierei verwendet werden sollte!“ Ein klarer Kodex also. Aber was sagen denn die anderen Teilnehmer dazu?

Andi von Heaven and Hell ist mit dem Verlauf der Tour durchweg zufrieden: „Außer einem kleinen Sturz von Roman gleich in der Genfer City hatten wir über die ganze Strecke weder Defekt noch sonstige Probleme. Nicht mal einen Platten, und das, obwohl wir bergab gut geskidded sind. Dazu kein Verletzter oder Kranker, das war wirklich top. Gleichzeitig war die Stimmung auch immer richtig geil!“ Denn die ist bei so einem Trip natürlich mit am wichtigsten: Wenn der Tag mit einem Pass beginnt und man nicht nur auf die Straße vor sich, sondern auch auf die Leute um sich keinen Bock hat, ist das Vorhaben zum Scheitern verurteilt.

Wir haben die Teilnehmer gebeten, uns mal ihren Tagesablauf und Eindrücke während der Tour zu schildern. Hier sind unsere Favoriten:

„Der Wecker klingelt, ich ziehe meine Bibshort an, dann auf zum Frühstück (Franzosen stehen scheinbar auf Apfelmus?). Zeit, nervös zu werden und sowohl Sonnen- als auch Pocreme großflächig zu verteilen (nicht verwechseln!). Flaschen befüllen, Riegel dealen (Schoko-Minz!) und endlich losrollen. Beim „Schalten“ verzweifeln, den Berg akzeptieren, lostreten, merken, dass man keine andere Wahl hat, außer da hoch zu drücken, langsam richtig Bock haben befeuert durch einen Endorphinschub von der Landschaft. Dann, mit Schweiß im Auge, oben ankommen, freuen und wieder Verzweiflung beim Umbau, runterwedeln, Dusche, noch mehr freuen, Blackroll, Tiefschlaf…“

„Das Schnarren der Ketten und das organische Geräusch der Reifen, wenn sie unter dem Druck jedes Tritts leicht nachgeben und sich an den rauen Asphalt pressen. Der Schweiß, der von der Stirn ins Auge rinnt und das Gefühl, als wären die Lungen mit heißem Sand gefüllt – am Gipfel verbindet sich das alles zu einem Gefühl der Erfüllung, der verdienten Ekstase, weil man es geschafft hat.“

Fixed bergab!

Natürlich ist auch diese mit dem Fixie etwas ganz Anderes, auch wenn, wie Marc erzählt, eine Vorderradbremse als legitime Veränderung akzeptiert war. Durch die starre Verbindung von Kettenblatt und Ritzel kann man (sicher) nur so schnell fahren, wie sich die Beine bewegen. Beim Bremsen kann man entweder so gut es geht gegenhalten und im Bestfall „skidden“, also den Hinterreifen blockieren und schräg stellen, um durch die Reibung zu verzögern – oder eben die in den Alpen hoffentlich vorhandene Bremse ziehen.

„Im Allgemeinen waren die Abfahrten alle mega geil“, so  Marc. „Dadurch, dass wir einen recht großen Gang hatten und die Neigung nie sehr steil war, konnten wir richtig runterballern.“ Um das Ganze zu begleiten, hatten die beiden Radvereine einen Filmer und einen Fotografen mit an Bord – im mitgeführten Begleitfahrzeug. Selbiges war auch für den Transport des Gepäcks verantwortlich.

Auf unsere Frage, ob sie eine Alpenüberquerung mit dem Fixie (oder einfach so) auch anderen empfehlen würden, kommt ein klares „Ja!“ zurück.

Das A und O sei die Planung und Vorbereitung, sodass man stets weiß, was die nächste Station ist, man verpflegt und mit Ersatzteilen versorgt ist und, am besten, dass man eine motivierte und verlässliche Crew hinter sich hat.

Text, Fotos und Details mit freundlicher Unterstützung von Bruegelmann.de und „Heaven & Hell Cycle Club“!