Liebe Leser,

letztens bin ich mit meinem alten Fixie zu einem Freund gefahren. Bier trinken und Fahrräder im Internet anglotzen: Ein ganz normaler Donnerstagabend. Ich wohne ziemlich ländlich, abgeschieden trifft es eher. Wenn hier jemand mal für einen Tag seine Blumen nicht gießt, dann ist das für mindestens 1 Jahr Dorfgespräch. In anderen Worten: Mein Kaff ist nicht gerade der Nabel der Welt. Als ich kurz an einer Kreuzung halten muss, taucht neben mir ein Typ auf seinem Rad auf. Er grinst mich an und hält mir seine Hand entgegen. „Cool Bike“, sagt er und deutet auf mein Fixie. Dann sehe ich, dass er selbst auf einem sitzt. An seinem geraden Lenker aus Bambus hat er einen großen Handlebar-Bag aus blauer LKW-Plane befestigt. Den Rest seines Bahnrads ziert eine schwarze Rahmentasche. Perplex stammle ich ein „Danke“ heraus, bis ich merke, dass der Typ gar kein Deutsch spricht. Schimpft mich ruhig einen Hinterwälder, aber im tiefsten Oberbayern, fernab jeglicher Großstadt, ist eine solche Begegnung etwa so selten, wie ein Krokodil in einem Fluß in Deutschland.

Wir müssen zufällig in die gleiche Richtung. Ich zum Bier, er – so stellt es sich heraus – nach Ungarn. Vor 2 Wochen ist er in Glasgow mit seinem Fixie aufgebrochen und will über Salzburg nach Budapest fahren, weil dort so eine Art Bike-Messenger Treffen ist. Er schläft draußen, nicht in Hotels oder Pensionen. Klar, es reicht ja noch nicht, dass er das ganze Unterfangen auf einem Rad meistert, das weder Bremsen noch Gänge hat. Mehr als ein Wow kann ich zwischen seinen ganzen Erzählungen nicht erwidern. Ein Wow für die Geschichte – ein Wow für diesen unglaublich bekloppten Zufall, ein Wow für… einfach alles.

Ich begleite ihn für ungefähr 20 Kilometer. Wir unterhalten uns über seine Reise, über Räder, über Berlin, das er nicht sonderlich gut in Erinnerung hat, weil die Polizisten dort checken, dass ein Fixie gegen die StvO verstößt. Wir reden über die vielen steilen Anstiege bei Ulm und seine Angst vor den bayrischen Voralpen. Ich sage ihm, dass er sich in Bayern höchstens vor wildgewordenen Kühen (oder Bauern) hüten muss. Ich erzähle ihm von CLEAT und dass er mir unbedingt Fotos schicken soll. Ich will ein Interview. Nein, besser noch – eine ganze verdammte Story. „Sounds great!“, erwidert er mir und grinst. Kurz bevor wir uns trennen, gebe ich ihm noch ein paar Routen-Tipps. Denn er fährt ohne Navi – nur mit Komoot, das er auf seinem altem Iphone installiert hat. Hatte ich was anderes erwartet? Zum Abschied machen wir noch ein Selfie:

„Congo“ (re.) und ich im hintersten Eck von Oberbayern.

Ich frage ihn, ob er Instagram oder Social Media hat – oder wie ich sein Abenteuer weiterverfolgen kann. „None of it“, antwortet er und macht eine abfällige Handbewegung. „You know, people are so bloody addicted to their phones nowadays – it´s crazy! They don´t see what´s happening in front of ´em”. Er deutet mit dem Finger auf seinen Kopf. Seine Reise und das was er erlebt, sei alles dort oben abgespeichert. Zugegeben, eine sehr reflektierte Einstellung für einen 25-jährigen. Dann will er aber doch unbedingt unser Selfie haben, denn es ist das erste Foto, das auf seiner bisherigen Reise überhaupt geschossen wurde. Ich airdroppe es ihm. Im Display erscheint der Name „Congo“. „Yep, that´s my phone”, antwortet er. „Great pics – awesome“ – er freut sich über die Fotos wie ein Honigkuchenpferd. Das ist eine saudumme Floskel, aber so ist es.

Ich wünsche „Congo“ eine gute Reise und unfallfreie Fahrt. Wir geben uns die Hand, dann klickt er in die Pedale ein und braust davon. Weil ich ein furchtbares Namensgedächtnis habe, merke ich mir natürlich seinen richtigen Namen nicht.

Auf dem Rückweg denke ich viel über „Congos“ Worte nach. Darüber, wie wir an unseren Geräten hängen und uns jeden Tag aufs Neue damit inszenieren. Wie wir Dinge fotografieren und die Fotos davon nie wieder eines Blickes würdigen. Sie verschwinden einfach in den Gigabyte großen Fotoalben unserer Handys, die ihren Namen nicht verdienen, weil sie keine Alben sondern Halden sind. Die visuellen Erinnerungen werden einfach entsorgt, in irgendeine Cloud, wo sie dann für immer bleiben. Ein paar davon landen in den sozialen Netzen, weil wir dem Rest der Penner dort draußen zeigen wollen, was für krasse Banger wir sind – von Hang Loose bis Send it! Hey, fair genug! Aber vielleicht sollten wir alle, genauso wie „Congo“, auf den Fame pfeifen. Denn was bringen uns am Ende der Tage die paar Likes oder ein paar heiße Schnecken (oder Kerle) die wir damit beeindrucken zu versuchen? Was passiert mit unseren echten Erinnerungen, wenn wir permanent das Smartphone umklammern? Rückt dann das eigentlich Erlebte, das Abenteuer, der besondere Momente in den Hintergrund? Wird dieser dadurch geschmälert? Oder wird er verstärkt?

Ich will hier gar nicht lehrerhaft den Zeigefinger heben. Schließlich benutze ich den kleinen schwarzen Kasten jeden Tag. Er ist Teil meiner Arbeit, und meines Privatlebens. Was also tun? Wie agieren? Eine klare Antwort habe ich nicht für euch. Tut mir leid! Aber eines weiß ich: Ohne Fotos und Videos von Geschichten wie diesen, wäre diese Seite ganz schön traurig und leer. Was denkt ihr also darüber? Schreibt mir auf max(at)cleatmag.de Ich bin gespannt!

Weil es doch noch ein paar Leute dort draußen gibt, die ihre Geschichten für die Nachwelt erhalten, kommen hier nun unsere Highlights des Monats:

DECATHLON BIKEPACKING

Ganz in seinem Element: CLEAT-Praktikant Alex

Der französische Outdoor- und Sport-Disounter Decathlon stößt in das Bikepacking-Segment vor. Und zwar gleich mit einer ganzen Kollektion an Ausrüstung. Preislich liegt das Equipment weit unter denen der Konkurrenz. Doch taugen die Taschen, Tarps und Bibs auch im rauen Außeneinsatz? Wir haben es für euch auf einem Übernacht-Trip getestet.

Hier geht´s zum Test

ALLES, WAS IHR ZUR TOUR DE FRANCE WISSEN MÜSST

Die Tour de France ist im vollen Gange. Alle Infos zum größten Radrennen der Welt, erfahrt ihr in unserem traditionellen Tour de France Artikel.

Hier geht´s zum Artikel

Tour de France die Zweite: Diesmal aber musikalisch! Wer unsere Vive le Tour Playlist auf Spotify noch nicht kennt, ist nun in der Pflicht diese kennenzulernen.

Hier geht´s zur Playlist

Haltet uns weiterhin die Treue, okay?

Euer

Max & CLEAT-Redaktion

PS: Ihr habt ein spannendes Thema für uns, Kritik, Lob oder einfach nur Schreibbedarf? Schreibt uns auf info(at)cleatmag.de