Es ist eine unglaubliche körperliche Herausforderung: die Alpinisten Roger Schäli und Simon Gietl haben mit NORTH6 ein ganz besonderes Projekt an den sechs klassischen Nordwänden der Alpen gestartet. Dabei wollen sie die drei Länder, die die Gipfel und Routen miteinander verbinden auf unterschiedlichen Disziplinen bezwingen: Bergsteigen, Klettern, Abseilen, Paragleiten, Skifahren und Rennradfahren. Wir begleiten die Extrem-Sportler auf ihrem Abenteuer.

Am frühen Septembermorgen, um 5.30 Uhr, startete das Projekt NORTH6, das die sechs klassischen Nordwände der Alpen – 6 Gipfel, drei Länder – miteinander verbinden soll: Bergsteigen, Klettern, Abseilen, Paragleiten, Skifahren, Rennradfahren stehen dabei auf dem Programm. Je nach den Anforderungen und Gegebenheiten von Berg, Wand und Route werden Simon und Roger unterwegs sein. Die rund 1.000 Kilometer, die zwischen den auserwählten Nordwänden liegen, verbringt das Team im Rennradsattel. In Summe stehen 30.770 Höhenmeter im Aufstieg und 29.470 Höhenmeter im Abstieg bevor.

Die Drei Zinnen. Foto: Christoph Muster

Die NORTH6 Detailplanung verrät, wie akribisch solche Projekte geplant werden und zeigt den genauen Routenverlauf, der nun in umgekehrter Reihenfolge realisiert wird. Gedanklich sitzt die Route bis ins Detail. Simon und Roger planen NORTH6 seit Monaten. Ursprünglich war NORTH6 für das Frühjahr geplant. Durch die instabile Wettersituation im Mai diesen Jahres wurde das ambitionierte Projekt auf den Spätsommer verschoben. Vor wenigen Tagen wurde schnell entschieden – Gestartet wird an der Großen Zinne.

Am frühen Morgen geht es von der Schutzhütte Capanna Sasc Furä (1.904 m) zum Einstieg des Nordwand-Klassikers „Cassin“. Die inzwischen eingespielte Seilschaft Schäli und Gietl erledigt letzte Vorbereitungen im ersten Morgenlicht. Wenig später steigen sie in die Route ein. Roger führt das Team am Piz Badile an. Nach nur drei Stunden Kletterzeit erreichen die Zwei den Gipfel, wo sie kurz den Moment genießen und sich dann rasch an den Abstieg über den Badile-Nordgrat machen.

Simon Gietl und Roger Schäli am Einstieg zur Tour Comici, Große Zinne. Foto: Christoph Muster
Simon Gietl im letzten Drittel der Comici, Große Zinne. Foto: Frank Kretschmann

Als sie am Ende des Badile-Nordgrats ankommen, entscheiden Roger und Simon sich dafür, den weiteren Abstieg mit den Paragleitern zu meistern. Dadurch ist das Team schnell im Tal und kann gegen 13 Uhr eine kurze Ruhepause einlegen – inklusive einer Massage des Teamkollegen René, bevor es mit den Rennrädern weiter geht. Simon Gietl nach der Landung im Tal: „Ich kann es nicht wirklich glauben. Die zweite Nordwand lief auch reibungslos. Nun konnten wir ab Ende des Nordgrat auch noch fliegen. Das war fantastisch.“

Roger Schäli und Simon Gietl mit den Paragleitern in Richtung Bondo unterwegs. Foto: Nicolas Altmaier

Roger und Simon wissen, dass so ein Projekt wie NORTH6 nur mit souveräner Planung, strukturierter Organisation und Engagement des gesamten Teams zu realisieren ist. „Ich möchte mich riesig für den Support und die gute Stimmung bedanken“, so Roger Schäli kurz vor der intensiven Rennrad-Etappe, die über den Splügenpass (2.114 m) verläuft. Die Große Zinne und den Piz Badile im Rücken, geht es nun weiter in Richtung Eiger, der dritten Nordwand laut Projektplan.

Nach der erfolgreichen Besteigung der Nordwand des Eiger über die Route „Chant Du Cygne“ (7A) machen sich die Alpinisten Roger Schäli und Simon Gietl mit ihren Rennrädern auf nach Zermatt (1.608 m), um die 4. klassische Nordwand – das Matterhorn – in Angriff zu nehmen. 183 Kilometer und 3.080 Höhenmeter liegen zwischen Grindelwald und Zermatt, wenn man die Route über den Grimselpass (2.164 m) wählt.

Bei weitestgehend trockenen Verhältnissen gelingt auch diese lange Radetappe ohne Zwischenfälle. Als das NORTH6 Team am Fuße des Matterhorn eintrifft, kündigt sich für den Folgetag Regen und Schneefall an. Daher entscheidet sich die Crew für einen Pausentag aufgrund des schlechten Wetters. Sie planen, die Schlechtwetterfront abzuwarten und am darauffolgenden Tag zur Hörnlihütte (3.260 m) aufzusteigen, um einen Tag später, früh am Morgen, in die Nordwand des Matterhorn einzusteigen.

So folgt auf den unfreiwilligen Ruhetag ein Zustieg zur Hörnlihütte bei Nebel und Regen. Das trübe Wetter lässt Roger und Simon kalt. Die Stimmung ist weiterhin bestens. Gut gelaunt und mit Vorfreude auf die Besteigung des Matterhorn treffen die Zwei gegen 18 Uhr in der Schutzhütte, die auf den Ausläufern des NO-Grats (Hörnligrat) gebaut ist, ein.

Nach einer erholsamen Nacht gelingt der Einstieg in die Nordwand wie geplant gegen 6 Uhr. Roger Schäli und Simon Gietl wechseln sich mit dem Vorstieg ab. Die Schmid-Route ist mit viel Neuschnee überdeckt, so dass der Routenverlauf beschwerlicher ist als erwartet. Trotz der widrigen Bedingungen erreichen die beiden Freunde am frühen Abend um 18 Uhr den Gipfel des Matterhorn. Ein weiteres Gipfelbild mit der glücklichen Seilschaft Gietl und Schäli. Zu diesem Zeitpunkt steht den beiden noch der Abstieg über den Hörnligrat bevor. Dieser nimmt viel Zeit in Anspruch und fordert die beiden Athleten nochmals intensiv. Erst gegen 2 Uhr nachts erreicht das Team hungrig, müde aber glücklich ihr Basecamp am Campingplatz in Täsch (1.449 m). Die Anspannung fällt ab und nach einer Mahlzeit fallen beiden die Augen zu.

Nach einer kurzen Nacht ruft bereits die 5. Nordwand in Frankreich. Ein Länderwechsel steht bevor. Zudem sind erneut zwei Tage mit Regenfällen angekündigt. Daher schwingen sich die Alpinisten erneut in die Rennradsattel, um die Strecke nach Chamonix (1.035 m) möglichst rasch und noch bei trockenen Verhältnissen zu überwinden:
140 Kilometer und 4.460 Höhenmeter stehen den Beiden bevor.

Mit dem Matterhorn im Rücken geht es für das NORTH6-Team Schäli und Gietl weiter in Richtung Chamonix/ Frankreich. Dort warten die letzten beiden Nordwände ihres Projekts auf sie:
Grand Jorasses (4.208 m) und Petit Dru (3.733 m) .

Wir bleiben dem Team NORTH6 auf der Spur und berichten regelmäßig vom Projektverlauf.