Es gibt wohl kaum einen schnelleren deutschen Bikepacker als Jonas Deichmann. Seine Europa- und Eurasien-Trips brachten dem Schwarzwälder Abenteurer gleich zwei Weltrekorde ein. Auch die berüchtigte Panamericana, mit einer Gesamt-Distanz von 23.000 Kilometern, bewältigte er im Alleingang – in nur 98 Tagen. Zwischen Isfahan und Shiraz im Iran passten wir den Extremsportler ab und sprachen mit ihm über Zeitpläne, analoges Navigieren und die schlimmsten Straßen der Welt.

Fotos: Phil Hympendahl / Interview: Max Marquardt

CLEAT: Hi Jonas, danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Momentan bist du gerade im Zuge deiner „Cape to Cape-Tour“ im Iran unterwegs. Was macht dir dort am meisten zu schaffen – die Hitze oder die verrückte Fahrweise der Iraner?

Jonas Deichmann: Hi Max, ja da hast du wohl recht. Die Fahrweise der Iraner ist in der Tat grausam (lacht), aber ich weitaus weniger aggressiv als zum Beispiel in Russland. Die Iraner fahren hier zwar wie die Gestörten, aber sie verhalten sich nicht aggressiv gegenüber Fahrradfahrern. Das geht also schon. Hier im Iran macht mir vor allem die Hitze zu schaffen.

18.000 Kilometer in nur 75 Tagen. Der Weltrekord liegt derzeit bei 102. Seid ihr noch im Zeitplan?

Momentan sind wir noch im Zeitplan, allerdings hatte ich gehofft, dass wir es früher in den Iran schaffen. Die Straßen in Russland hatte ich besser erwartet, hinzu kamen Dauerregen und Kälte. Nachts fahren konnten wir auch nicht. Zeitlich ist aber noch alles in Ordnung, allerdings ist der Puffer nicht mehr ganz so groß wie ich erhofft hatte. Jetzt darf halt in Afrika nichts mehr schief gehen, dann schaffen wir das auch in unter 75 Tagen.

Bei derart langen Etappen und mit dem Druck das Ziel zu der gesetzten Zeit zu erreichen: Hat man da überhaupt noch die Möglichkeit Land und Leute zu genießen?

Es bleibt da tatsächlich nicht so viel Zeit übrig, Land und Leute kennenzulernen, aber das ist ja das schöne, wenn man ohne Support fährt: Bei jedem Stopp, an jeder Raststätte oder Tankstelle kommt man schnell mit den Einheimischen in Kontakt. Und auch wenn man 10-12 Stunden auf dem Rad sitzt, bleibt noch etwas Zeit dafür, die absoluten Highlights zumindest kurz anzugucken. Zu den schönsten Plätzen komme ich dann einfach nochmal mit dem Touring-Bike, da habe ich dann auch einfach mehr Zeit für Sightseeing.

Wir selbst waren im März mit dem Rennrad im Iran und sind von Teheran nach Yazd bis Isfahan gefahren. Besonders die Abschnitte zwischen den großen Städten sind ziemlich einsam. Wie regelst du die Wasser-Problematik in der Wüste?

Wasser ist überhaupt kein Problem. Wir sind schnell unterwegs und bei einem 30er Schnitt kommt man mindestens alle zwei Stunden an einer Örtlichkeit vorbei, wo es auch Wasser gibt. Ich habe zwei Flaschen dabei und das reicht mir in der Regel aus. Für die Sahara montiere ich dann noch eine dritte Flasche, weil da einfach die Distanzen länger sein werden. Essen ist da eher eine Herausforderung.

Auf Instagram schreibst du, dass der europäische Teil Russlands zweifelsohne der gefährlichste für Radfahrer ist. Woran liegt das?

Ich bin mittlerweile in über 100 Ländern mit dem Rad unterwegs gewesen und kann ohne Zweifel sagen: Der europäische Teil Russlands ist mit Abstand der gefährlichste in dem ich je war. Die kleine Straßen sind in grausamen Zustand, die sind mit dem Rennrad eigentlich nicht befahrbar. Die mittelgroßen Straßen haben keine Seitenstreifen, dafür aber jede Menge LKWs, die in einem Mordstempo und ohne Abstand an dir vorbeiziehen. Das ist echt lebensgefährlich. Das sicherste sind also tatsächlich Autobahnen. Aber auch da ist die Fahrweise, besonderes der russischen LKW-Fahrer, fahrlässig und lebensgefährlich. Die sind teilweise betrunken und fahren mit voller Geschwindigkeit aggressiv, teilweise mit nur wenigen Zentimeter Abstand an dir vorbei.

Ist dir da schon mal etwas passiert?

Ja, vor zwei Jahren, beim Eurasien-Weltrekord hatte ich einen Crash, den ich nur knapp überlebt habe. Und erst vor kurzem hat mich der Seitenspiegel eines vorbeirasenden LKWs an der Schulter getroffen. Ich werde nie wieder durch den westlichen Teil Russlands mit dem Fahrrad fahren!

Auf deinem Instagram-Account, aber auch auf deiner Webseite sieht man jede Menge beeindruckende Fotos von deinen Reisen. Schießt du diese mittels eines Stativs selbst oder hast du immer jemanden dabei?

Das ist ganz unterschiedlich. Auf der Panamericana-Tour habe ich alles selbst mit Stativ und GoPro geschossen. Auf den meisten Reisen auch. Manchmal habe ich aber auch Begleitung von einem Fotografen, wie jetzt bei diesem Trip hier.

Lass uns ein bisschen über deine Ausrüstung sprechen. Wie viel Kilo wiegt dein Rad plus Equipment bei einem Trip wie dem jetzigen?

Mein Rad wiegt circa 8 Kilo. Der Rahmen ist aus Titan, weil ich mehr auf Stabilität als auf Leichtigkeit gehen wollte. Ausrüstung sind dann nochmal circa 7 Kilo, also dann 15-16 Kilo Gesamtgewicht ohne Wasser und Essen. Das gilt allerdings nur für die warmen Ländern. In Finnland oder Russland war ich etwas schwerer unterwegs, wegen den dickeren Klamotten und in Afrika wegen den zusätzlichen Ersatzteilen. Zwischen Kairo und Nairobi gibt es nämlich keinen Fahrradshop.

Du versuchst unterwegs möglichst analog zu navigieren, aufgrund der Akku-Problematik. Können wir uns das also ganz „klassisch“ mit einer Karte vorstellen?

Ich habe auf den meisten vorherigen Reisen, insbesondere in Europa, mit einer klassischen Karte navigiert. Jetzt bei Cape-to-Cape navigiere ich mit GoogleMaps Offline auf dem Handy, damit ich weniger Akku verbrauche. Das ist hier auch kein Problem, da es hier nur sehr wenige größere Straßen gibt und die gehen meistens über hunderte Kilometer geradeaus.

Wenn du nicht auf dem Rad bist, arbeitest du als Speaker und Motivationstrainer. Wenn es um Motivation geht, hat ja jeder Sportler sein eigenes Rezept. Gab es Momente während deiner Abenteuer in denen du auch schon mal selbst daran gezweifelt hast, ein gestecktes Ziel zu erreichen?

Ich hatte noch nie Zweifel! Es ist alles reine Kopfsache. An dem Moment, an dem ich losfahre, ist Aufgeben keine Option. Ich bin schon in so vielen schweren Momenten gewesen – aber es geht immer weiter.

Hast du da eine mentale Strategie?

Ich breche meine großen Ziele auf viele kleine herunter. Ich denke da nicht daran, dass ich zum Beispiel noch 10.000 Kilometer fahren muss, sondern daran, dass in 3 Stunden bei einer Tankstelle ein Snickers oder einen Kaffee gibt. Und so geht es eben immer weiter. Der Gedanke des Aufgebens darf gar nicht erst aufkommen, sonst kommt man in eine ganz gefährliche Abwärtsspirale..

Das klingt jetzt aber ein bisschen wie aus dem Buch…

Ich bin einfach ein sehr großer Optimist und improvisiere. Eine Lösung gibt es immer. Ich bin teilweise schon 50 Kilometer zu Fuß zur nächsten Fahrradwerkstatt gelaufen. Das wichtige ist: Immer daran glauben, dass es weiter geht. Immer optimistisch sein!

Auf deiner Panamericana-Tour hattest du eine Situation, in der du diesen Optimismus bestimmt mehr als gut gebrauchen konntest….

Ja, in Patagonien. Da kam der Wind direkt von vorne, teilweise mit 100 Stundenkilometern. Da ich nichts mehr zu essen dabei hatte, musste ich es irgendwie in die nächste Stadt schaffen. Nach 10 Stunden mit einem Schnitt von 6 km/h, teilweise habe ich geschoben, ging dann gar nichts mehr voran. Also habe ich mich über die Nacht hinter eine Böschung gelegt, um wenigstens vom eisigen Wind etwas Schutz zu haben. Nachts hatte es Minus 7 Grad und ich hatte nur einen leichten Sommerschlafsack dabei. Da lag ich dann also, hungrig und frierend und hatte Angst einzuschlafen. Ich dachte mir nur die ganze Zeit „Wenn du jetzt einschläfst, wachst du nicht mehr auf.“ Am nächsten Tag hat dann aber zum Glück der Wind gedreht und es ging weiter.

Durch deine Radreisen bist du bereits ziemlich rumgekommen in der Welt. Welcher Moment wird dir von diesen Reisen am meisten in Erinnerung bleiben?

Als ich letzten Jahr im Yukon-Gebiet, Nordkanada unterwegs war. Ich fuhr durch die Nacht in völliger Einsamkeit, kein Auto für Stunden und fernab jeglicher Zivilsation. Pure Wildnis. Und dann tauchten plötzlich die Polarlichter am Firmament auf. Das war unglaublich! In diesem grünen Schimmer dieses beeindruckenden Naturschauspiels bin ich dann völlig allein durch die Wildnis gefahren. Ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.

Zum Abschluss möchten wir dir fünf Stichpunkte zuwerfen, auf die du am besten nur knapp antwortest. Los geht´s:

Bestes Rad fürs Bikepacking?

Mein aktuelles Curve GMX Titanium Gravel Bike.

Was erträgst du am ehesten: Kälte oder Hitze?

Hitze habe ich lieber. Kälte und Regen hasse ich!

Strava oder Understatement?

Ich bin kein großer Fan davon, weil ich gerne meine Fahrt genieße und kein Daten-Freak bin. Ab und zu lade aber auch mal eine Fahrt hoch.

Kaffee oder Tee?

Ich bin ein Kaffee-Junkie!

Danke für Deine Zeit, Jonas und weiterhin viel Glück!

Mehr Infos zu Jonas Deichmann, seinen Reisen und jede Menge Fotos könnt ihr auf seiner Website sehen: jonasdeichmann.com

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