1175 Kilometer, 41633 Höhenmeter und das Ganze in nur 7 Tagen. Der Ultra-Radsportler Gerhard Dashuber wollte es im Juli diesen Jahres ganz genau wissen und ging für seine Benefiz-Aktion „7 Summits“ an seine physischen und psychischen Grenzen. In Anbetracht dieser unglaublichen Leistung trafen wir den 58-Jährigen zum Interview auf dem Berggasthof Neureuth am Tegernsee. Ein Gespräch über Herausforderungen, Grenzerfahrungen und die schönsten Sonnenaufgänge seines Lebens.
Interview: Max Marquardt / Fotos: Klaus Spranger, Gerhard Dashuber
CLEAT: Gerhard, du hast schon als Kind mit dem Rennradfahren begonnen – und das Thema hat dich bis heute nicht mehr losgelassen. Inzwischen fährst du extreme Touren mit Grenzgängen an die physischen Möglichkeiten. Wie bist du zu alldem gekommen?
Gerhard Dashuber: Die erste Berührung mit dem Rad hatte ich vor 50 Jahren. Wenige Jahre danach bin ich mit dem Rennrad in Kontakt gekommen, wenngleich es nur eine Leihgabe meines Nachbarn war, der selbst Rennfahrer war. Leider verunglückte er tödlich bei einem Radrennen, was dazu führte, dass ich ohne Rad dastand. Danach hat sich die ganze Sache kurzzeitig im Sand verlaufen und ich fing mit dem Motorradfahren an. Mit 25 Jahren hatte ich einen Unfall beim Motocross. Daraus resultierte eine schwere Verletzung am linken Fuß. Die Ärzte sagten mir daraufhin, dass Fahrradfahren das Einzige wäre, das ich jetzt noch machen könnte. Ein Jahr später fuhr ich dann Weltcup-Rennen im Downhill und Cross-Country. 20 Jahre lang fuhr ich Elite-Amateurrennen mit Lizenz. Ich habe einen Trainerschein gemacht und an Triathlons teilgenommen, aber irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich mir sagte, dass es keinen Sinn mehr macht, noch mehr Pokale zu sammeln.
Zufälligerweise fragte mich dann jemand, ob ich nicht für den guten Zweck Radfahren wolle. Es handelte sich dabei um eine 24 Stunden Fahrt zugunsten einer Kinderkrebshilfe. Das fand ich spannend und wir fuhren zu Dritt zu dem Rennen. In der Nacht hatte es geregnet und gewittert ohne Ende. Bernd, einer meiner Teamkollegen meinte dann als ich ihn überholte: „Lass uns Pause bis morgen Früh machen, dann sollte das Gewitter nachlassen.“ Ich habe geantwortet: „Nein, das können wir nicht, wir fahren für krebskranke Kinder.“ In dem Moment ist dann die Idee zu „Radeln und Helfen“ entstanden.
CLEAT: 41633 Höhenmeter in 7 Tagen, 76 Stunden Fahrtzeit auf 1175 Kilometern: Das ist nichts, was man mal eben so aus Langeweile macht. Wie motiviert man sich für sowas? Kommt man nicht irgendwann an den Punkt, wo man ans Aufgeben denkt?
Stell dir mal vor, du sagst nicht, ich kann nicht mehr oder ich will nicht mehr. Man sagt oft, es wäre nur reine Kopfsache. Das stimmt natürlich nicht ganz, denn zusätzlich zum Mindset braucht man natürlich die passende physische Verfassung. Dennoch spielt das Vertrauen in sich selbst und in seine eigenen Fähigkeiten eine Schlüsselrolle beim Bewältigen solcher Herausforderungen.
Das „Vertrauen in sich selbst“ ist doch aber genauso leicht daher gesagt wie „alles reine Kopfsache“, oder?
Stellen wir uns einfach mal ein Pferd und einen Reiter vor: Trennt man die beiden, hat man zwei verschiedene Wesen. Jetzt stell dir vor, du bestehst auch aus zwei Wesen. Ich selbst hatte vor zwei Jahren während eines 2000km-Rennens ein Erlebnis in Andermatt / Schweiz. Es war stockfinstere Nacht, Null Grad und alles hatte geschlossen. Zuerst fuhr ich den Pass runter und musste im Anschluss den Furkapass hochradeln. Ich habe dann irgendwann so gefroren, dass ich spontan dachte: „Jetzt stirbst du, das überlebst du nicht.“ Ich habe mir dann jedoch gedacht, nein, den Gedanken führe ich jetzt nicht zu Ende. Ich mache das anders. Ich gehe mental aus dieser dunklen Szene raus und sage mir: „Du erfrierst nicht!“ In etwa so, wie man mit seinem Kind redet. Du erfrierst nicht, keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Ich mach jetzt eine halbe Stunde Pause und erhole mich ein bisschen.
Hat es geklappt?
Mein ganzer Körper hat angefangen zu zittern und sich dann selbst erwärmt. Ich war frei, ich war raus aus diesen fürchterlichen Gedanken und konnte mich darauf konzentrieren, weiterzumachen. Dann habe ich mich eine halbe Stunde unter einen Baum gelegt, wo es trocken war – und das hat wunderbar funktioniert. Kein Leiden mehr.
Läuft man in so einer gefährlichen Situation und Umgebung aber nicht Gefahr, dass das nach hinten losgeht?
Natürlich, es ist ein schmaler Grat. Bei mir hat es bisher gut funktioniert. Ich glaube aber auch, dass ich damals noch nicht an dem Punkt angekommen war, wo ich wirklich erfroren wäre. Wenn man sagt, man kann nicht mehr, dann muss das nichts heißen. Man ist in solchen Situationen meist noch fitter als man denkt.
Bei den US Navy Seals gibt es ja diese 40 Prozent Regel. Diese besagt, dass wenn dir dein Verstand sagt, dass du erschöpft bist, du de facto erst 40 Prozent deines Kraftpotentials ausgeschöpft hast. Ist das eine vergleichbare Taktik?
Ja, das ist natürlich auch eine ganz ähnliche Strategie. Aber nochmal zu meinem Pferd und Reiter – Beispiel: Wenn das Pferd schon auf den Knien dahin schrubbt, muss der Reiter irgendwann auch aufhören, die Peitsche zu schwingen. Es geht halt dann nicht mehr. Aber wenn er merkt, es braucht nur einen Schluck Wasser und 5 Minuten Pause, dann ist das was anderes. Also mache ich (als Reiter) ein bisschen langsamer, damit das Pferd nicht kaputt geht, weil ich schließlich darauf ans Ziel kommen möchte. Dadurch lernst du immer mehr auf deinen Körper zu achten, damit du ihn nicht kaputt machst, weil du ihn schließlich noch brauchst. Es geht also darum, Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten aufzubauen.
Was war denn bei diesem wirklich respektablen Unterfangen die größte Herausforderung?
Die Länge! Täglich um 5 Uhr morgens aufstehen, nur kurz Frühstücken, mit dem Wissen, dass wieder 11, 12 oder 13 Stunden bis zum Sonnenuntergang auf dem Rad auf mich warten.
„Von meinem Vorhaben durften mich weder Wetter noch Müdigkeit abhalten, weil mein Ziel sonst nicht erreichbar gewesen wäre.“
Du hast mir vorhin auf unserem Aufstieg erzählt, dass es dir auch darum ging, Grenzerfahrungen zu sammeln und die „eigene bekannte Grenze zu verschieben“. Dass du an deine persönliche Grenze gelangt bist, steht fest, hast du sie aber auch tatsächlich verschoben?
Mindestens drei Mal pro Woche (lacht). Vier Mal die Strecke auf den „Sella Ronda“ und wieder runter aufgrund eines technischen Defekts am Höhenmesser haben dafür gesorgt, dass ich am nächsten Tag noch später am Start war, weil wir in der Nacht noch zum Großglockner gefahren sind. Aufgrund der drei, anstatt vier Stunden Schlaf, hat die Erholung massiv gelitten. Die Summe aus all dem, was mir in dieser kurzen Zeit passiert ist, hat für die Grenzverschiebungen gesorgt.
Hattest du währenddessen Unterstützung oder war das alles „Self-supported“?
Ein Freund von mir war dabei und hat mich unterstützt. Er hat meine Wäsche gewaschen, Essen gekocht, Kaffee gemacht, das Wohnmobil sauber gehalten…. Ich bin also während der gesamten Woche nur Rad gefahren und habe gegessen und geschlafen.
Lass uns über deine Vorbereitung sprechen: Hattest du einen speziellen Trainingsplan oder hast du die ganze Sache einfach aus dem Ärmel geschüttelt?
Natürlich geht sowas nicht ohne anständige Vorbereitung. Ein halbes Jahr davor habe ich mich wirklich ein eine Art „Tunnel“ begeben – mich also voll und ganz nur auf diese eine Sache fokussiert. Everesting im Winter auf der Rolle, 500 Kilometer mit 7000 Höhenmetern am Stück und viele weitere Einheiten waren Teil meines Trainingsplans. Im Vorjahr hatte ich bereits am „Three Peaks Bike Race“ von Wien nach Barcelona teilgenommen. Dadurch wusste ich, dass ich neun Tage durchfahren, kann, wenngleich es etwas anderes war, da du dort nur so lange fährst, bis du müde wirst. Dann legst du dich hin und schläfst, bevor du wieder weiterfährst. Von meinem Vorhaben durften mich weder Wetter noch Müdigkeit abhalten, weil mein Ziel sonst nicht erreichbar gewesen wäre.
Hattest du zusätzlich einen Coach oder eine Beratung, um in deiner Vorbereitungsphase das bestmögliche rauszuholen?
Nein, wenn ich nicht gerade andere coache, bin ich mein eigener Coach. Ich habe so manchen Fahrern in die Profikarriere geholfen und probiere bei mir das aus, was auch Anderen zum Erfolg verholfen hat.
Würdest du als Fazit festhalten, dass das deine bisher herausforderndste Tour war?
Ja, aufgrund der Höhenmeter. Mit meiner Statur fällt mir die Steigung schon deutlich schwerer, als es bei einer Person mit 60 Kilo der Fall ist. Ich konnte nicht aufhören zu treten, sonst wäre ich einfach umgefallen. Im Umkehrschluss bedeutet das also, 15 Stunden lang ununterbrochen zu pedalieren. Rollen lassen ist bei 23 Prozent Steigung aufs Kitzbüheler Horn logischerweise unmöglich.
Bist du nach Watt oder Puls gefahren?
Gefahren bin ich alles nach Watt. Den Pulsmesser habe ich am vierten Tag abgelegt, weil der sinnlos war. Ich habe einen Ruhepuls von 33 und kam auch während der Tour nie über 100.
Wir haben über all die herausforderndsten Momente und Aspekte gesprochen. Was war denn als Gegensatz dazu der schönste Moment während dieser sieben Tage?
Ich bin jeden Tag zum Sonnenaufgang losgefahren. Stets im Hinterkopf der Track „July Morning“ von Uriah Heep. Häufig habe ich die Sonnenaufgänge auch fotografiert. Das waren die für mich schönsten Momente auf meiner Tour. Die ersten Sonnenstrahlen symbolisierten für mich das Licht, das die Dunkelheit hinter dir lässt.
Du engagierst dich sehr stark für „Radeln und Helfen“. Wie hoch sind die Spenden durch dein Unterfangen ausgefallen?
Der aktuelle Spendenstand beläuft sich auf 22.000 Euro. Es stehen allerdings noch mindestens 10.000 Euro aus, die bereits zugesagt, jedoch noch nicht eingezahlt wurden. Ich gehe von ca. 40.000 Euro aus, die wir letztendlich zusammentragen werden.
Und wofür wird das Geld genau eingesetzt?
Das wird an die Organisationen verteilt, die wir begünstigen. Dafür wird noch ein Verteilerschlüssel festgelegt. Es wird also nicht jeder denselben Betrag erhalten. Ich habe erst heute mit Juana Gräter von World Bicycle Relief telefoniert und ihr den größten Anteil zugesagt, weil es sich dabei um mein ganz persönliches Herzensprojekt handelt. World Bicycle Relief ermöglicht Kindern in Afrika, die aufgrund mangelhafter oder gänzlich fehlender Infrastruktur sonst nicht zur Schule kommen würden, mit einem eigenen Rad im Wert von 130 Euro zur Schule zu gelangen. Wir haben bereits im letzten Jahr ein paar hundert Räder finanziert und so drei Schulen damit ausgestattet.
„Auf der einen Seite bist du dein größter Kritiker, auf der anderen Seite jedoch auch dein größter Motivator. Solange deine Stimme noch einen Hauch von positiven Gedanken transportiert, bist du noch nicht am Limit.“
Wie kann man sich bei „Radeln und Helfen“ einbringen und unterstützen?
Zuallererst kannst du Mitglied werden. Dann bist du zumindest schonmal dabei. Im Strava Club kannst du Radfahren und verpflichtest dich durch deine Mitgliedschaft, einen Cent pro gefahrene Kilometer zu spenden. Letztes Jahr wurden auf diese Weise 1.500.000 Kilometer geradelt, was einem Spendenbetrag von 15.000 Euro entspricht. Damit kann eine ganze Schule mit Rädern versorgt werden. Zusätzlich lassen sich Events auf unserer Homepage ausfindig machen, weil ständig irgendjemand irgendeine Idee hat, an der man sich beteiligen kann.
Hast du jetzt, nachdem du dein letztes Projekt abgeschlossen hast, bereits etwas Neues auf dem Schirm?
Tatsächlich weiß ich noch nicht, was ich im nächsten Jahr machen werde. Ich sorge jetzt für fruchtbaren Boden, auf dem die nächste Idee aufkeimen kann, sobald sie kommt. Manchmal sind es spontane Ideen, die wir umsetzen, manchmal handelt es sich um umfangreichere Events, denen eine sorgfältige Planung vorausgeht. Vor vier Jahren sind wir, nur um mal ein Beispiel zu nennen, mit 40 Leuten in 40 Stunden durch Deutschland gefahren – 1060 Kilometer. Das war ein großes Event mit Begleitfahrzeugen und allem drum und dran…
Welche Empfehlung kannst du den Lesern dieses Artikels, die selbst Radfahrer sind, mit auf den Weg geben, wenn es um das Bewältigen schwieriger Situationen oder Herausforderungen geht?
Achte bewusst auf deine Selbstgespräche. Du bist in einem ständigen Dialog mit dir selbst. Auf der einen Seite bist du dein größter Kritiker, auf der anderen Seite jedoch auch dein größter Motivator. Solange deine Stimme noch einen Hauch von positiven Gedanken transportiert, bist du noch nicht am Limit. Wenn alles ins Negative umschlägt, solltest du auf deine innere Stimme hören und aufhören, was auch immer du gerade machst…
Mehr Infos über Gerhard Dashubers Verein „Radeln & Helfen“ findet ihr auf der offiziellen Webseite.