Wer auf der Suche nach einem Abenteuer auf zwei Rädern ist, findet dieses auf 45.000 Kilometern Asphalt zwischen Alaska und dem Feuerland. Ein Roadtrip, der 19 Länder und vier Klimazonen durchquert. Die „Panamericana“ ist für viele Traum und Sehnsuchtziel zugleich. So auch für den 37-Jährigen Spanier Cristian Calvet, der schon in Kindheit von den Weiten Nordamerikas träumte. Als er 2017 seinen Job verlor, nahm er diesen Schicksalsschlag zum Anlass, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und aufzubrechen – auf seinem ganz persönlichen Weg in die Freiheit. CLEAT MAGAZIN sprach mit dem Abenteurer über verrückte Erlebnisse zwischen Wüsten und hohen Gipfeln, Einsamkeit und Spontanität.
Interview: Max Marquardt / Fotos: Cristian Calvet
CLEAT: Hi Cristian, erzähl uns bitte, wie du dazu gekommen bist, ausgerechnet die Panamerica zu fahren?
Cristian Calvet: Ich komme aus Spanien und verlor 2017 meinen Job. Ein paar Monate später, am 1 Juli 2017 habe ich mich dann auf meine Reise mit dem Rad begeben. Und bis jetzt habe ich es nicht bereut.
Du hast dein Fahrrad-Abenteuer in Alaska gestartet. Wie erging es dir vor allem in den ersten Wochen im Sattel?
Im Juli hat Nordamerika wirklich die besten Konditionen für die Panamerica. Die Wetterbedingungen sind ideal und somit war der Start auch recht easy. Ich habe als Kind schon immer von der unberührten Wildnis Alaskas oder dem Yukon-Gebiet geträumt. Ich verschlang so ziemlich jedes Buch von Jack London. Als ich dann endlich dort war, habe ich mir einen lang ersehnten Traum erfüllt.
Auf Bikepacking-Trips passieren ja immer jede Menge unvorhergesehen und verrückte Dinge. Erzähl uns von deinem bisher eindrücklichstem Erlebnis.
Puh, es gibt da so viele. Aber besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Anstieg der Cordillera Blanca in Peru. Der höchste Pass dort ist 4850 Meter über dem Meeresspiegel. Dort oben fühlte es sich so an, als würde ich mit dem Rad über den Wolken schweben. Ein unglaubliches und intensives Gefühl.
Wie sieht deine tägliche Routine aus?
Sehr simpel: Ich stehe bei Sonnenaufgang auf, fahre sechs bis acht Stunden, baue das Camp auf, esse, schlafe. That´s it!
Fühlst du dich öfter mal alleine oder triffst du unterwegs auf Gleichgesinnte, denen du dich dann anschließt?
Man muss hier natürlich zwischen „alleine sein“ und „alleine fühlen“ differenzieren. Ich habe mich bis jetzt noch kein einziges Mal alleine gefühlt. Ich bin zwar oft und viel alleine unterwegs, das macht mir aber nichts aus.
Da sprichst du bestimmt vielen Bikepackern aus der Seele…
Ich finde, dass der Einsamkeit wohnt ein gewisser Zauber inne: Ich denke viel nach, über mich selbst, die Welt, was richtig und was falsch ist. Ich spüre mich selbst und horche in mich hinein.
Eine Erfahrung, die mit Sicherheit viele machen, wenn sie so lange unterwegs sind und auf sich alleine gestellt sind. So ist doch jede längere Reise, jedes Abenteuer auch eine Reise zu sich selbst, oder?
Ich glaube, dass das Reisen generell auch immer eine Trennung ist. Es bedeutet, sich zu verirren, zu finden, selbst zu entdecken, zu lernen, zu beobachten. Aber auch, zusammen zu leben, sich in etwas einzufühlen. Ja, eine Art der Selbstfindung, wenn man so will. Ich liebe den Aufbruch ins Ungewisse aber genauso, wie die sportliche Herausforderung. Hinzu kommen die Schönheit der Natur, die Einfachheit und Unabhängigkeit eines solchen Trips. Weißt du, jemand der sich wirklich einsam fühlt, tut dies auch, wenn er von Menschen umgeben ist.
Im Gebirge hattest du es mit schwierigen Bedingungen zu tun: Wind, Schnee, ein krasses Temperaturgefälle, komplexe Navigation. Was war in dieser harschen Umgebung die bisher gefährlichste Situation für dich?
Das war in Bolivien, Ende Juli. Zu dieser Zeit herrscht dort Winter. Ich war im Eduardo Avora Nationalpark unterwegs. Dort kommst du von der Wüste bis rauf auf 4900 Meter über dem Meeresspiegel. Also völlig irre Gegensätze. Die Wetterbedingungen waren grauenhaft, mit Temperaturen von -18 Grad und Windböen bis zu 110 km/h. Ich konnte nur auf einem schmalen sandigen Trail fahren und musste Schneestürme, Hagel und Regen über mich ergehen lassen. Richtig ätzend. Das waren wirklich die härtesten Tage auf dem gesamten Trip bisher.
Erzähl uns ein bisschen was zu deinem Rad. Was für einen Rahmen fährst du und welche Komponenten hast du verbaut?
Das wird hier nun ein paar Leute vor den Kopf stoßen: Aber ich habe mein Rad in einem Secondhand-Laden für 120 Euro gekauft. Wirklich überhaupt nichts Besonderes. Für mich war es wichtig, ein robustes, einfaches Bike zu fahren, das ich selbst schnell reparieren kann. Beim Rahmen habe ich auf Aluminium gesetzt, komme aber dennoch im Gesamtgewicht auf knappe 60 Kilo.
Was steht für dich bei diesem Abenteuer im Vordergrund? Das Ziel, die Menge an Kilometern, die Erfahrungen?
Für mich steht das Nomadenleben im Vordergund. Das Zurücklassen eines komfortablen Lebens und die Reduktion auf die Grundbedürfnisse Essen, Trinken, Schlafen. Das ist auch der Grund dafür, dass ich ohne eine vorher festgelegt Route durch den amerikanischen Kontinent reise. Ich habe kein wirkliches Ziel oder einen Zeitpunkt für das Ende dieses Trips. Wenn ich mich an einem Ort wohl fühle oder mit den Leuten gut klar komme, dann bleibe ich dort meist ein bisschen länger, bevor es wieder weiter geht.
Wo hat es dir denn bisher am besten gefallen?
In Mexiko und Kolumbien. Die Menschen dort sind einfach unglaublich herzlich. Weiß du, es geht mir gar nicht darum, ein bestimmtes Ziel oder irgendetwas anderes zu erreichen. Ich mache alles nach Gefühl und tue das, was mir gerade gut tut. Der beste Plan ist immer noch, keinen zu haben
Wird dieser Trip irgendwann zu einem Ende, einem Ziel kommen?
Genauso wie ich mein Tage nicht vorausplane, weiß ich auch noch nicht, was ich tun werde, wenn es soweit ist. Momentan will ich nur eines: Jeden Tag aufs Volle auskosten, alleine, auf dem Rad.
Hast du einen Rat an all diejenigen, die sich genauso wie ins Abenteuer stürzen wollen?
Denkt nicht zu viel darüber nach. Macht es einfach – und genießt es.
Folgt Cristian Calvet aka „Bicicletaman“ auf seiner Webseite und auf Instagram.