Synthetische Stofffe galten in der Outdoorbranche bisher als das Nonplusultra. Doch seit einigen Jahren erfreuen sich bei den Verbrauchern immer mehr natürliche Materialien. Und dies nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit. Vor allem die bisher eher vernachlässigte Schafschurwolle ist dabei wieder in den Fokus gerückt. Wolle ist ein Naturprodukt, atmungsaktiv, wärmt oder kühlt, reguliert Feuchtigkeit, neutralisiert Gerüche und Schadstoffe und ist 100 Prozent biologisch abbaubar. Die Pioniere dieser Woll-Revolution sind die Schweizer von Swisswool. Ihr Credo: jede Art von Wolle wird verwertet, egal welche Qualität sie hat und egal von welcher Schafrasse sie stammt. Die Wolle ihrer Schafe kommt besonders bei den Produkten Outdoor-Marke Ortovox zum Einsatz. Ein spannendes Gespräch mit Stefan Krause, Head of Product von Ortovox, über nachhaltige Innovationen und die Vorteile von Schurwolle.
Interview: Max Marquardt / Fotos: Ortovox/Swisswool
CLEAT: Die meisten Outdoorsportler haben Jahrzehntelang auf Daune geschworen. Inzwischen hat sich jedoch so einiges auf dem Markt getan. Besonders Wollstoffe erfreuen sich in Sachen Atmungsaktivität, Robustheit und Multifunktionalität immer größerer Beliebtheit. Ist also Wolle die bessere Daune?
Wolle hat eine Menge Vorteile verglichen mit Daune. Sie kann viel mehr Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Dadurch sicher sie einen super Tragekomfort der Kleidung. Sie isoliert auch dann noch, wenn sie nass wird – Daune fällt hier einfach zusammen. Wolle hat temperaturregulierende Eigenschaften, sie wärmt oder kühlt also so, wie der Körper es gerade braucht. Dass sie zudem Gerüche neutralisiert ist wohl der bekannteste Vorteil von allen…
Seit 2011 arbeitet Ortovox mit Swisswool zusammen. Was ist an der Schafwolle von Swisswool anders?
Swisswool ist eine Initiative, die Wolle von Schweizer Bauern sammelt. Die Wolle wird also lokal produziert, legt nur kurze Wege zurück und bringt den Bauern zusätzliches Einkommen. Eine wichtige Unterstützung, denn die Schafe spielen auch eine wichtige Rolle für den Erhalt der alpinen Kulturlandschaft. Durch das raue Klima ist die Wolle der zumeist Schwarznasenschafe besonders widerstandsfähig und robust. Das sind genau die Eigenschaften, die wir brauchen um sie als Isolationsmaterial zu verwenden.
„Ein einzelnes Schaf gibt etwa vier bis sechs Kilo Wolle pro Jahr“
Stefan Krause, Head of Product
Wie hoch ist der Swisswool-Verbrauch in der Produktion von Ortovox-Produkten. Oder besser: Wie viel Schafherden und ihre Bauern werden von Ortovox/Swisswool finanziert?
Wir haben im Jahr 2021 16 Tonnen Swisswool verarbeitet. Auf einzelne Herden kann das nicht herunter gebrochen werden, da die Wolle ja an zentralen Sammelstellen angeliefert wird. Ein einzelnes Schaf gibt aber etwa vier bis sechs Kilo Wolle pro Jahr bei zwei Schuren.
Mit Swisswool als Lieferanten soll eine „Stärkung der regionalen Wirtschaft durch Sammlung der Wolle vor Ort mit fairer Entlohnung der Bauern“ stattfinden. Wie war denn die Situation für die Schafhirten und Bauern in der Schweiz davor?
Kurz gesagt furchtbar. Damals wurde in der Schweiz die stark subventionierte Inlandwollzentrale geschlossen, das heißt, es gab plötzlich keinen Markt mehr für das Produkt, die Wolle war auf dem freien Markt nur wenig wert. Da die Schafe ja trotzdem geschoren werden mussten, haben die Bauern die Wolle teilweise verbrannt oder auf den Mist geworfen – schwer vorstellbar heutzutage.
Ortovox legen hohen Wert auf Nachhaltigkeit und Tierschutz. „Ortovox schützt Schafe“ heißt es auf der Webseite. Klingt spannend, doch was steckt genau dahinter?
Ja, der Tierschutz ist uns ein sehr wichtiges Anliegen. In der Schweiz ist der Tierschutz gesetzlich sehr streng geregelt und es gelten sehr hohe Standards mit einem engen Monitoring, auch bei noch so kleinen Betrieben. Für unsere Merinowolle aus Tasmanien haben wir 2017 einen anspruchsvollen Wollstandard entwickelt. „Ortovox Wool Promise“ (OWP) steht für höchste Standards beim Tierschutz und nachhaltiges Wirtschaften. Zusätzlich sind alle Farmen nach dem internationalen Responsible Wool Standard (RWS) zertifiziert. Regulierungen sind essenziell, doch die Grundlage ist für uns stets der ehrliche und ambitionierte Wille und Einsatz aller Partner. Die enge, freundschaftliche Beziehung zu den Schaffarmern, Produzenten und Experten werden so auch in regelmäßigen Round Table Gesprächen genutzt und intensiviert. Und so haben sich auch schon unsere Schweizer Partner mit den Farmern aus Tasmanien getroffen, um sich über gemeinsame Ziele auszutauschen.
„Es ist uns ein Anliegen, als starke Stimme für Wolle wahrgenommen zu werden“
Stefan Krause, Head of Product
Besonders Wolle hat in den letzten Jahren so etwas wie eine Renaissance erlebt. Dabei kam Wolle als klimatisierender (Wärme / Kälte) Stoff schon in den späten Fünfzigern zum Einsatz. Warum hat man dieses Material erst in den letzten Jahren wiederentdeckt?
Das war wohl eine Frage des Zeitgeists. Plastikfasern wurden einfach lange als Nonplusultra gesehen. Dabei ist ihr Einsatzbereich meistens limitiert auf einige sehr spezifische Situationen. Ortovox hat Wolle übrigens schon 1988 verwendet, damals als erste Outdoor-Bekleidungsmarke.
Freeride—oder Bergjacken müssen den widrigsten Bedingungen standhalten. Kälte, Nässe, Schnee, Eis, Frost…. Wie Feuchtigkeitsbestände und isolierend ist Schafwolle im Vergleich zur altbekannten Daune?
Wie schon gesagt, um ein vielfaches. Daune funktioniert einfach nicht, sobald sie nass wird. Die Daunen verklumpen und fallen zusammen, somit entfallen die kleinen Strukturen, in denen Luft gespeichert wird. Und ohne Luft keine Isolation. Bei Wolle ist das anders, sie verklumpt auch nass nicht, die Lufteinschlüsse bleiben also bestehen und isolieren weiter.
Was sollte man beim Tragen von Woll-Produkten unbedingt beachten?
Wolle ist ein Naturmaterial – mit der richtigen Pflege kann man lange Freude mit dem Produkt haben, worüber sich die Umwelt freut. Die freut es auch, dass Wolle durch ihre Faserkonstruktion „selbstreinigende“ Eigenschaften hat. Statt einem Waschgang reicht oft auch einfach ein kräftiges Auslüften. Und wenn sie dann doch mal gewaschen wird, bitte mit Wollwaschmittel und ohne Weichspüler im Schongang, damit die feinen Strukturen nicht verkleben und erhalten bleiben.
Reine Wolle hat den Vorteil, dass sie auch nach längerem Tragen nicht riecht. Vor allem aber kann man Baselayer für ein paar Stunden zum Auslüften hängen um sie danach wieder ohne üblen Geruch tragen zu können. Um eine Wäsche kommt aber irgendwann dennoch nicht vorbei: Ist Handwäsche hier aber immer Pflicht und die Waschmaschine eine No-Go?
Nein nein, Wolle kann auch gut in der Maschine gewaschen werden. Wichtig sind spezielle Wollwaschmittel, da sonst Enzyme auf den Fasern zerstört werden. Und natürlich ein Schongang – die Details stehen auf jedem Produkt individuell in der Waschanleitung.
Welche Innovationen haben sich in Extremsport- und Outdoor-Bekleidung in den letzten Jahren (bei Ortovox) getan?
In Bezug auf Wolle: Die Swisswool-Kollektion ist ab diesem Winter klimaneutral! Außerdem haben wir viel am richtigen Einsatzbereich der verschiedenen Wollqualitäten gearbeitet. Merinowolle verwenden wir direkt auf der Haut, also bei Baselayern. Die Schweizer Wolle hingegen ist ein ideales Isolationsmaterial. Einen technischen Einsatzbereich findet sie übrigens auch in manchen Rückensystemen unserer Rucksäcke, wo Tragekomfort und Feuchtigkeitsmanagement besonders wichtig sind. Und wir forschen natürlich weiter, gerade was die Themen Gewicht und Elastizität betrifft.
Ihr habt vornehmlich Produkte für Wintersportler und Bergsteiger im Portfolio. Ist es denkbar, dass sich Ortovox auch bald noch anderen Outdoor-Sportarten widmet, was die Produktpalette betrifft?
Stimmt, wir fokussieren uns auf die Themen Bergsteigen, Klettern, Hochtouren, Freeride und Skitour. In Zukunft werden wir uns sicher auf die Weiterentwicklung des Einsatzbereiches von Wolle konzentrieren und insbesondere Synergien mit unseren tasmanischen Wollfarmen schaffen. Es ist uns ein Anliegen, als starke Stimme für Wolle wahrgenommen zu werden.
So verarbeitet Ortovox die Wolle von Swisswool
Nachdem die Wege zu den Swisswool Sammelstellen sehr kurz sind, müssen die Strecken zum Verbraucher ebenfalls kurz sein. Die Wollballen machen sich nach der Sammlung auf den Weg nach Belgien. Nur hier gibt es die richtigen Maschinen, die die Wolle ausschließlich mit Seife und Soda von natürlichen Beschmutzungen befreien können. Anschließend erhält sie ihre schonende filzfreie Ausrüstung. Im deutschen Dinkelsbühl werden dann 12 Prozent Ingeo – eine maisbasierte Bikomponentenfaser – unter die Wolle gemischt. Anschließend wird die Wolle geöffnet, kardiert, kreuzgelegt und thermisch verfestigt. Die fertigen Vliesbahnen, die in verschiedenen Dicken für unterschiedliche Einsatzbereiche hergestellt werden, werden abschließend an verschiedenen Standorten in Europa zu hochfunktionalen Ortovox Isolationsprodukten weiterverarbeitet.