Einmal quer durch die USA – von Ost nach West. Das Ziel: die Golden Gate Bridge in San Francisco. Die Nürnbergerin Nira Halfpap ist 2017 auf ihre erste große Radreise gegangen. Alleine und ohne blassen Schimmer davon. Auf den über 5000 Kilometern lernte sie, mit so manchen Hindernissen umzugehen und so manche festgefahrene Einstellung zu überwinden. Am Ende fasste sie wieder neues Vertrauen in die Menschen. Cleat-Chefredakteur Max Marquardt hat Nira zum Interview getroffen.

Interview: Max Marquardt, Fotos Nira Halfpap

CLEAT: Du bist 2017 komplett allein von der amerikanischen Ost- zur Westküste geradelt. Davor hattest du keinerlei Ahnung vom Radreisen. Klingt nach nach einem spontanen Entschluss…

Nira: Ja tatsächlich! Die ganze Unternehmung war quasi ein Produkt der Langeweile, als ich gegen Ende meines Urlaubs bei schlechtem Wetter alleine zu Hause saß. Ich konnte mich nicht aufraffen, im kalten Herbstregen das Haus zu verlassen. Dazu waren alle meine Freunde am Arbeiten. Ich überlegte also, auf welches Abenteuer ich mich in meinem nächsten Urlaub stürzen könnte. Da ich das Radfahren liebe und die USA eine meiner favorisierten Destinationen ist, stand das Vorhaben schnell fest.

Wie viele Kilometer hast du an Strecke insgesamt zurückgelegt?

Insgesamt waren  es etwas über 5600 Kilometer. Denn es stellte sich heraus: die USA ist verdammt groß! (lacht) Und als ich mit dem Finger über die Landkarte gefahren bin, habe ich auch nicht realisiert wie viele hohe Berge sich zwischen den beiden Küsten befinden.

Und wie lange hast du dafür gebraucht?

Insgesamt war ich 65 Tage unterwegs. Zu Beginn habe ich mich sehr gestresst, weil ich dachte ich würde es niemals schaffen und weil ich „nur“ knapp 90 Tage Gesamtzeit hatte. Mein Innerer Kritiker war gerade am Anfang der Reise sehr laut. Das hat sich dann aber zum Glück gelegt!

Du warst neun Jahre Offizier zur See. Hat dich diese Zeit für deine Amerika-Radreise in irgendwie vorbereitet? Gerade was Resilienz und „Durchbeißen“ betreffen?

Ich habe auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet – auch da hat man, je nach Position, den Offiziersstatus. Zuletzt habe ich dort als Eventmanagerin und Kreuzfahrtdirektorin gearbeitet, das ist Resilienztraining „on the job“! Ich stand oft vor großen Herausforderungen, die schnelles Handeln, Anpassungsfähigkeit und Problemlösungsfähigkeiten erforderten. Dazu habe ich ein 50-köpfiges, internationales Team geleitet, mitunter mit sehr speziellen Charakteren. Das trifft übrigens auch auf die Gäste zu, mit denen ich viel zu tun hatte. Bei vier Monaten arbeiten, ohne auch nur einen freien Tag und einer mindestens 70 Stunden Woche, lernt man schnell viel in Sachen Durchhaltevermögen.

Da ich generell ein sehr disziplinierter Mensch bin, hat das wahrscheinlich schon sehr bei der Reise geholfen und mein beruflicher Background hat wohl den Rest dazu beigesteuert.

So, wie ich es verstanden habe, hattest du davor nur ein sehr rudimentäres Wissen über Fahrräder und Fahrradtechnik. Wie hast du dich auf diese Reise vorbereitet?

Rudimentäres Wissen trifft den Nagel auf den Kopf! Ich wusste, wie man einen Platten behebt und hatte acht Jahre zuvor mal einen eintägigen Crashkurs, von dem nicht wirklich viel in meinem Kopf hängen geblieben war. Für meine Reise haben mir die Jungs aus dem Fahrradladen, in dem ich mein Reiserad gekauft habe, einen kleinen Reparaturkurs gegeben. Ansonsten bin ich guter Hoffnung gestartet – was sollte an einem neuen Fahrrad schon kaputt gehen? Und im Zweifelsfall hätte ich mir mit einer Internetrecherche weitergeholfen oder das Glück einer Fahrradwerkstatt gehabt. Die USA ist zwar weitläufig, aber man ist ja nicht komplett aus der Welt. Wobei das das mit Bezug auf das Internet auch nicht so stimmt. In den Gegenden, in denen ich unterwegs war, war die Netzabdeckung sehr gering.

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert, dass du komplett allein so ein großes Land mit dem Rad durchqueren willst?

Mein Umfeld dachte zu Beginn meiner Idee, dass ich einen Spaß mache. Als klar war, dass ich es ernst meine, war von Bewunderung über Neid bis hin zu größtem Respekt alles mit dabei. Für viele war es aber auch nicht greifbar – eine Reise mit solchen Dimensionen und dann auch noch mit dem Fahrrad. Innerhalb meiner Familie hat es große Wellen geschlagen, so dass auch mein Stiefpapa, der sich nie Sorgen gemacht hat, große Bedenken um meine Sicherheit hatte. Das hat mich zwar kurz zum Nachdenken gebracht, aber natürlich nicht von meiner Reise abgehalten. Zum Glück! Meine Mama dachte ich rede nur, bis ich angefangen habe alle nötigen Sachen zu kaufen. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann mache ich es auch. Und auch da kann man sagen: Egal wie alt man ist, man bleibt immer Kind!

Warst du klassisch mit Zelt und Schlafsack unterwegs, oder hast du auch immer mal wieder in Motels und Unterkünften übernachtet?

Für mich stand fest, dass ich Zelt und Schlafsack mit im Gepäck haben werde und das als Übernachtungsmöglichkeit erster Wahl nutzen wollte. Auch wenn ich vorher noch nie gezeltet hatte. Motels habe ich mir für meine Ruhetage gegönnt, da sollte etwas Besonderes her – ein richtiges Bett und eine heiße Dusche. Ansonsten bin ich auf ganz viel Gastfreundschaft gestoßen. Es passierte nicht selten, dass mich Menschen auf der Straße angesprochen und mir einen Schlafplatz angeboten haben. Einmal kam ich von einem Schlafplatz auf der Grünfläche einer Autowerkstatt zu einem Platz in einem Ausstellungzentrum im Park, zu einem Pensionszimmer, dass voller Gastfreundschaft für mich organisiert wurde. Eine Kettenreaktion, die sich in weniger als zwei Stunden ergab. Eine verrückte Geschichte. Ein anderes Mal wurde ich von einem Farmer auf seine Kuhfarm eingeladen, wo ich mein Zelt aufschlug. Kurz vor Mitternacht holte mich seine Frau ins Haus, da ein Unwetter aufzog. Sogar ein original Südstaaten Frühstück gab es dann am nächsten Morgen für mich. Bereits in meiner ersten Nacht wurde ich von Fremden beherbergt, nachdem ich fragte, ob ich neben der örtlichen Kirche zelten darf. Ansonsten habe ich oft bei Feuerwehrstationen und Polizeistationen nach einem Schlafplatz gefragt. Ich dachte mir, wenn die wissen, dass eine Frau allein mit ihrem Fahrrad unterwegs ist, dann bin ich sicher. Und es hat immer geklappt.

Weiter westlich habe ich öfter Übernachtungsmöglichkeiten über Warmshowers nutzen können – quasi Couchsurfing nur für Radfahrer. Es war toll, auf Gleichgesinnte zu stoßen und sich über das Radfahren auszutauschen. In den USA, und besonders in den ländlichen Gegenden, in denen ich unterwegs war, ist es nicht üblich Fahrrad zu fahren. Da war es schön auf Menschen zu treffen, die diese Leidenschaft mit mir teilten.

Oft wird das bei Abenteuergeschichten gern mal ausgeblendet: Aber was war die herausforderndste Situation für dich?

Ich denke es gab viele herausfordernde Situationen für mich, da es für mich ganz viele erste Male auf dieser Reise gab. Angefangen mit den emotionalen Herausforderungen. Ich hatte enorme Selbstzweifel, ob ich es überhaupt schaffen kann, stark genug bin – mental wie auch körperlich. Denn so lange Strecken war ich vorher nie gefahren, vor allem nicht jeden Tag und dann noch mit 45+ Kilo (Fahrrad und Gepäck). Ich habe mich die ersten Tage sehr gestresst, da ich unbedingt meine Tageskilometer fahren „musste“. Dazu kamen die abgelegenen Gegenden, wo ich teils keiner Menschenseele begegnet bin, und auch kein Handynetz hatte. Ich war gezwungen mich mit mir selbst und meinen Gedanken zu beschäftigen. Knieprobleme und ein enorm wunder Po waren da das geringste Übel!

Ja, und dann waren da noch die Rocky Mountains – definitiv der schlimmste und herausforderndste Tag der Reise! Da ich ja aufgrund der Seefahrt sonst immer nur auf Höhe des Meeresspiegels unterwegs war, hat mir die Höhe dort enorm zu schaffen gemacht. Seitdem weiß ich, was Höhenkrankheit ist. Eine Erfahrung die mich körperlich an meine Grenzen gebracht hat. Lesson learned: Für die nächste Überquerung der Rockys plane ich mehr Zeit ein, damit ich mich anständig akklimatisieren kann!

Was war der für dich herausragendste Moment auf diesem Abenteuer?

Puh, das ist schwer zu sagen. Es gab nicht den einen Moment, von dem ich sagen würde, er war der tollste. Retrospektiv kann ich sagen, dass ich jeden Tag aufs Neue besondere Momente hatte. Besondere Momente mit Menschen und ihrer unglaublichen Gastfreundschaft und Herzlichkeit, besondere Momente, in denen ich eins mit mir und der Natur war, und auch die besonders skurrilen Momente, zum Beispiel als eine Frau nicht nach Hause kommen wollte, weil ihr Mann mir einen Zeltplatz im Garten angeboten hatte – sie hatte Angst, ich könnte sie nachts umbringen. Natürlich habe ich mir dann sofort einen anderen Schlafplatz gesucht!

Und allem voran meine Ankunft auf der Golden Gate Bridge – dem Ziel meiner Reise. Das war natürlich ein besonders emotionaler Moment. Dazu war die ganze Bay Area voller Wale – ungewöhnlich für diese Jahreszeit. Mit ihren Wasserfontänen, die sie aus ihren Atemlöchern in die Luft stießen und ihren auf die Wasseroberfläche aufklatschenden Fluken, war es das perfekte Begrüßungs-Komitee für mich!

Endlich am Ziel: Nach 5600 Kilometer ist Nira endlich an ihrem Ziel: Der Golden Gate Bridge.

Und was der am wenigsten schöne?

Das Abschied nehmen und zu wissen, dass ich in mein altes Leben zurückkehren werde. Ich bin in diese Reise wie in jede andere Reise zuvor gestartet, nur halt mit dem Fahrrad. Mir war nicht klar, dass diese Reise mich verändern wird und mein Leben ins Wanken bringt.

Menschen gehen auf Reisen, weil sie andere Dinge sehen wollen. Eine Reise, egal wie kurz oder lang, ist jedoch auch immer ein Stück weit bewusstseinserweiternd. Man verarbeitet Eindrücke, die uns schließlich auf die ein oder andere Weise formen; uns manchmal sogar zu neuen Auffassungen und Einstellungen bewegen. Was war bei dieser Reise dein „bewusstseinserweiternder“ Moment?

Mein bewusstseinserweiternder Moment war nicht ein einzelner Augenblick, sondern eher eine Reihe von Erfahrungen, die mich nachhaltig verändert haben. Für mich hat sich das große „Aha“ während der Reise geformt.

Als ich meine Reise begann, wollte ich einfach Fahrradfahren und die USA erkunden – nicht mehr und nicht weniger. Doch schon die erste Nacht, die ich bei völlig fremden Leuten verbrachte, hat meine Sicht auf die Welt verändert. Sie boten mir, ohne zu zögern ihre Gastfreundschaft an und stellten mich ihrer Kirchengemeinde vor. Diese vielen Menschen haben sofort Hand in Hand einen Kreis gebildet und für meine sichere Reise gebetet. Das war der Beginn einer Lektion, die sich durch die gesamte Reise zog: Vertrauen zuzulassen.

Über viele Jahre hatte ich Mauern um mich herum aufgebaut, die das Vertrauen ausgeschlossen hatten. Ich war misstrauisch, eine Einzelkämpferin und geprägt von Erfahrungen, durch die ich den Glauben an das Gute im Menschen immer wieder in Frage gestellt habe. Schon gar nicht habe ich daran geglaubt, dass jemand etwas aus reiner Selbstlosigkeit macht. Doch immer wieder begegnete ich Menschen, die mir aus purer Nächstenliebe halfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Ja und diese Erlebnisse haben mich dazu gebracht, mich selbst zu hinterfragen und wieder an das Gute im Menschen zu glauben.

Die Angst fährt gerade beim Bikepacken immer ein Stück weit mit. Mal sind es aggressive, wilde Hunde, mal üble Gegenden oder gruselige Schlafplätze und Nächte. Wie ist es dir ergangen?

Wirklich beängstigende Situationen gab es nicht. Und ich war immer schneller als die Hunde, die mich gejagt haben! (lacht) Als einmal im Nirgendwo eine riesige Dogge auf dem Weg saß und ich mir nicht sicher war, wie ich aus der Nummer rauskommen soll, kam nach ein paar Minuten die Besitzerin und der große Hund, der erst ein paar Monate alt war, fand mich so spannend, dass er mich rund vier Kilometer freudig hechelnd begleitet hat. Und es gab nur eine Nacht in der ich kein Auge zugemacht habe – als ich auf einem noch nicht geöffneten Campingplatz gezeltet hatte. Er war in einer sehr abgelegenen Gegend, weit und breit gab es keinen Handyempfang. Die Besitzerin, die kurz vor Ort war, gab mir ihre Erlaubnis und war die Einzige, die wusste, dass ich dort war. Nachts fuhren gleich zwei Mal Autos vor und die Leute liefen über das Gelände. Ich lag mit Herzklopfen im Zelt – linke Hand ein Pfefferspray, rechte Hand das Messer meines Leathermans. Und so wartete ich ab. Aber die Panik war umsonst, niemand kam auch nur in die Nähe meines Zelts.

Und dann gab es dann und wann Männer, die mich angesprochen haben, wo mir mein Bauchgefühl Unbehagen signalisierte. Dann habe ich immer, je nachdem aus welcher Richtung sie kamen, gesagt, dass ich mit meinem Mann unterwegs bin und er entweder ein Stück hinter mir oder vor mir fährt. Zur Glaubhaftigkeit trug ich einen „Ehering“ am Ringfinger.

„Ich war weder auf der Suche nach mir selbst, noch nach Antworten auf irgendwelche tiefgreifenden Lebensfragen. Ich wollte einfach nur Fahrradfahren“

In einem anderen Interview hast du gesagt: „Ich fand wieder zu mir selbst, trotz vieler Tränen und Selbstzweifel, habe ich es geschafft – und niemals mein Lächeln verloren.“ Inwiefern meinst du das?

Dieser kleine Satz enthält für mich so viele Emotionen!  Ich bin damals von 0 auf 100 gestartet. Ich war weder auf der Suche nach mir selbst, noch nach Antworten auf irgendwelche tiefgreifenden Lebensfragen. Ich wollte einfach nur Fahrradfahren.

Aber meine Selbstzweifel waren gerade zu Beginn sehr groß, die Stimmen in meinem Kopf, dass ich es nicht schaffen werde, sehr laut. Der Innere Kritiker kann sehr bösartig sein. Der ein oder andere mag das von sich selbst kennen. Besonders am Anfang hat das für viele Tränen gesorgt. Doch ich hatte ein Ziel vor Augen und mein Ehrgeiz hat mich immer angetrieben. Ich habe keine Minute daran gedacht die Reise abzubrechen.

Weil du dich selbst so gepusht hast, oder weil es so schön war?

Vor der Reise war ich jemand, der es gewohnt war, stark zu sein, keine Schwächen zu zeigen und seine Gefühle zu verbergen – egal, wie es mir innerlich ging. Besonders meine Zeit auf dem Schiff hatte mich geprägt, so dass ich gelernt hatte Emotionen zu verstecken. Doch auf der Reise habe ich schnell gemerkt, dass diese Einzelkämpfermentalität nicht funktionierte. Ich musste lernen, um Hilfe zu bitten und sie auch anzunehmen. Eine große Herausforderung, aber auch eine wertvolle Lektion. Ich fand mich plötzlich in Situationen wieder, in denen ich meine Emotionen nicht mehr wegdrücken konnte, und ließ sie zu – ob vor Fremden oder später auch vor mir selbst.

Das Radreisen als Selbstfindungstrip, das hört man ja immer wieder…

Es waren nicht nur die Begegnungen mit anderen, die mir halfen, wieder zu mir selbst zu finden, sondern auch die Momente der Einsamkeit. Da ich oft durch sehr abgelegene Gegenden gefahren bin, wo ich teils nicht einer Menschenseele begegnete, war ich gezwungen mich mit mir selbst auseinanderzusetzten.

Mein Lächeln habe ich nie verloren, weil es mein Weg war, Licht in schwierigen Momenten zu sehen und nicht aufzugeben. Ich habe mich auf die positiven Dinge fokussiert; spätestens am Abend, wenn ich im Zelt lag und wieder stolz sagen konnte, dass ich meinem Ziel ein Stück nähergekommen war. Diese Reise hat mich auch gelehrt, dass wahre Stärke darin liegt, sich Schwäche einzugestehen. Ich habe gefunden, ohne je gesucht zu haben. Und das ist vielleicht das Schönste, was man auf einer Reise erleben kann. Ich bin nicht mehr die Person, die ich vor der Reise war – und dafür bin ich unendlich dankbar.

Kommen wir zu deiner Ausrüstung: Mit welchem Rad warst du unterwegs?

Die Wahl fiel auf das CAMPUS T2 Grand Tour – ganz klassisch mit Vorder- und Hinterradgepäckträger. Damals hat CAMPUS dieses Rad noch als „Weltreiserad“ im Sortiment gehabt. Mittlerweile gibt es das aber nicht mehr. Der Fokus der Firma hat sich scheinbar geändert. Wichtig war mir, dass das Fahrrad so einfach wie möglich gehalten ist und einen Stahlrahmen hat. Der fällt zwar ganz schön ins Gewicht, aber ich dachte mir, wenn ich beim Radreisen bleibe und mir irgendwo in der Prärie der Rahmen bricht, kann man ihn auf jeden Fall schweißen!

Auf welches Ausrüstungsteil willst du seit diesem Abenteuer nie wieder verzichten?

Hm, da fallen mir gleich mehrere ein. Aber unter Top 3 steht auf jeden Fall mein Trinkrucksack. Flüssigkeitsaufnahme ist so wichtig und die kann ich damit am besten für mich regulieren. Ansonsten meine Stirnlampe und mein Leatherman.

Und als persönlicher Gegenstand ein „Weinglas“, was nichts anderes ist als eine kleine Metallschüssel mit Henkel, wo eine halbe Flasche Wein reinpasst. Es war ein Geschenk während meiner Reise und hat eine besondere Bedeutung.

Und was war das Überflüssigste?

Generell hatte ich für meine erste Radreise erstaunlich gut gepackt. Nach fünf Tagen hatte ich ein paar Sachen wie ein extra paar Schuhe und ein Mini-Tablet aussortiert. Aber was ich wirklich unnötig von Ost nach West gefahren habe, war mein Garmin GPSmap 64s. Es ist viel wert, wenn man sich mit seinem Equipment gut auskennt, sich damit vor der Reise entsprechend beschäftigt. Das war bei mir nicht der Fall. Ich hatte vor Reisebeginn schlichtweg keine Zeit mehr mich mit der effizienten Nutzung auseinanderzusetzen. Und da mir das GPS nicht selten 20-30 Kilometer längere Wege als Google Maps anzeigte, navigierte ich nach kürzester Zeit ausschließlich mit Google Maps. Nicht optimal, aber hey, ich bin angekommen. Letztlich musste ich ja nur Richtung Westen.

Du bist ja durch so einige Bundesstaaten gekommen. Wo wärst du am liebsten länger geblieben?

Insgesamt bin ich durch 11 Staaten geradelt. Es ist echt beeindruckend, wie vielfältig die USA sind. Länger geblieben wäre ich gerne in vielen Gegenden, was aber primär den dortigen Menschen zuzuschreiben war. Rein landschaftlich wären es aber Colorado und Kalifornien gewesen.

Warum ausgerechnet diese beiden Staaten?

Colorado hat mich mit seinen schneebedeckten Bergen und grünen Tälern stark beeindruckt. Dazu der Black Canyon of the Gunnison, der nochmal einen absoluten Kontrast bildet. In diesem Nationalpark bin ich übrigens auch Junior Ranger geworden! Ein Dank geht raus an Ranger Paul! Kalifornien hingegen hat mich durch seine abwechslungsreiche Natur beeindruckt. Die Vielfalt ist echt der Wahnsinn! Nationalparks wie Yosemite, Schutzgebiete wie das Mono Lake Tufa State Natural Reserve, der South Lake Tahoe oder die Küstenregion. Alles liegt so nah beieinander und ist so unterschiedlich! Für eine Outdoor-Enthusiastin und Naturliebhaberin wie mich ein absolutes Highlight. Es gab aber auch einen Staat, wo ich froh war, wieder rauszukommen: Kansas. Ich habe selten so eine langweilige Strecke erlebt, die dazu noch trotz fehlender Berge so anstrengend war – ich hatte nur Gegenwind und bin meist nicht über 10 Stundenkilometer hinausgekommen!

„Ich denke meine Geschichte zeigt, dass man als Frau keine Angst haben muss“

Schweden, Norwegen, Nordkap, Alpüberquerung – alles auf dem Rad. Dir scheint in deiner Heimat bei Nürnberg schnell langweilig zu werden, oder?

Es ist wohl eher die innere Unruhe! Ich bin ein Mensch, der die Abwechslung liebt und dazu von sich selbst getrieben ist– Monotonie ist für mich der stille Tod. Dazu liebe ich es mich herauszufordern und neue Abenteuer zu erleben. Wenn ich dann wieder in meiner Wahlheimat Nürnberg bin, kann ich es auch super genießen. Aktuell freue mich zum Beispiel sehr auf die Weihnachtsstimmung in der Stadt und den Lebkuchenduft, der durch die Lebkuchenfabrik in der Luft liegt.

Du hast mir erzählt, dass du ein Buch über deine Amerikareise veröffentlichen willst. Ist es dein Ziel, damit auch ein Stück weit andere Frauen zu inspirieren?

Ja genau, ich habe über die letzten Monate hinweg ein Buch über meine Reise geschrieben. „East to West – Wie ich als Frau allein die USA mit dem Fahrrad durchquerte“. Jetzt beginnt der schwierige Part: Einen Verlag zu finden. Natürlich hoffe ich, dass ich auch andere Frauen dazu inspirieren kann, sich auf ihre eigene Reise zu begeben. Ich denke meine Geschichte zeigt, dass man als Frau keine Angst haben muss. Im Gegenteil. Gerade als Frau hatte ich das Gefühl einen, sagen wir mal, Bonus zu haben, da es bei vielen den Beschützerinstinkt geweckt hat. Schon während meiner Reise habe ich Frauen getroffen, die sich durch mich inspiriert fühlten, mutiger sein zu dürfen und Neues zu wagen. Und es geht vielleicht nicht unbedingt darum andere Frauen zu einer Fahrradreise zu inspirieren, sondern darum an sich zu glauben und den Mut aufzubringen, seinen Träumen zu folgen. Einfach mal machen und sich von seinen Sehnsüchten und verrückten Ideen leiten lassen – ohne Furcht.

Welche exotischen Länderziele stehen bei dir als nächstes an?

Konkret steht aktuell noch nichts auf der Liste. Ich war dieses Jahr bereits viel in Asien unterwegs, auch vier Wochen in Indien. Was mich noch reizt ist mit dem Fahrrad über die Karpaten durch Rumänien zu fahren. Und auch Nord-Süd durch Afrika. Aber das ist dann nochmal eine ganz andere Liga! Schauen wir mal wo es mich hinzieht. Ich lasse mich gerne von mir selbst und meinen spontanen Eingebungen überraschen!

„Es gibt nichts schlimmeres als irgendwann nicht mehr zu können und dann zu denken ‚Hätte ich doch mal‘.“

Muss es denn immer in der weiten Ferne sein, oder denkst du dir auch mal: „Mensch, in den bayrischen Wald wollte ich immer schon mal fahren“?

Ich lebte viele Jahre nach dem Motto „Je weiter weg, desto besser.“ Die europäischen Ziele wollte ich erkunden, wenn ich alt bin und nicht mehr so lange Flüge auf mich nehmen kann. Doch das hat sich ein wenig gewandelt. Es zieht mich zwar nach wie vor in die weite Ferne, aber ich habe festgestellt, dass die näher gelegenen Destinationen durchaus ihren Reiz haben können. Und man muss nicht immer so viel Zeit einplanen. Im Bayrischen Wald war ich sogar auch schon! (lacht) Wo ich aber nochmal gerne hin möchte ist Hallig Hooge. Da war ich mit der Schule, im zarten Alter von 13 oder 14 Jahren und habe es als schön ruhig in Erinnerung. Eigentlich total untypisch für mich. Aber wenn es mich nochmal dorthin verschlägt, reise ich natürlich mit dem Fahrrad an!

Deine ultimative Empfehlung für alle die eine Radreise (ob kurz oder lang) planen ist?

Einfach machen! Verlasse deine Komfortzone, glaube an dich, mache dich auf deinen Weg und lass dich von der Magie des Radreisens verzaubern! Und wenn es nur eine zwei Tages Tour ist. Es gibt nichts schlimmeres als irgendwann nicht mehr zu können und dann zu denken „Hätte ich doch mal.“ Und ansonsten kann ich jedem nur empfehlen nicht zu überambitioniert mit den Tageskilometern zu sein, wenn man sich Zeit für die kleinen Freuden am Wegesrand nehmen möchte. Weniger ist manchmal mehr! Mit Fokus auf die Gesamtstrecke kann so eine Reise schon echt überwältigend sein. Ich fand es hilfreich in kleinen Schritten zu denken. Aber auch das musste ich erst lernen. Die Reise in kleine Etappen zu unterteilen kann da echt helfen. Und wenn einem eine Tagesetappe zu schaffen macht, dann kann man auch die unterteilen – zum Beispiel bis zum nächsten Supermarkt, bis zum nächsten Berg oder in 5-Kilometerschritten. Außerdem sollte man jeden Tag dankbar annehmen, so blöd er auch eventuell war. Schließlich bringt dich jeder Tag dem Ziel ein Stückchen näher – sei es manchmal auch noch so klein.

Nira Halfpap sucht derzeit nach einem Verlag für ihr Buch . „East to West – Wie ich als Frau allein die USA mit dem Fahrrad durchquerte“. Wer sich berufen fühlt, dieses zu verlegen, kann sie gerne kontaktieren!

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