Der Journalist und Buchautor Max Marquardt (u.a. „Auf Asphalt“) hat ein neues Buch geschrieben. „Über die Felder“ handelt von der Geschichte des härtesten Rad-Etappenrennens aller Zeiten, dem „Circuit de Champs de Bataille“, das 1919 veranstaltet wurde und nur einmalig stattfand. In „Über die Felder“, das nun, nach zwei Jahren Arbeit über den Delius Klasing Verlag erschienen ist, fährt der Autor die ehemaligen Etappen mit dem Gravelbike ab und geht dabei auf eine Entdeckungsreise deutsch-französischer Geschichte.
Fotos: Julian Hartwig, Text: Sven Timm
„Schlamm. Feuchter Schlamm, trockener Schlamm, schwerer Schlamm. Schlamm, der schmatzt sobald man seinen Stiefel herauszieht. Feiner Schlamm, Erdnussbutterschlamm, weil er an allem haften bleibt, mit dem er in Kontakt kommt. Es gibt Tausende Arten von Schlamm (…) Als sich die 87 Starter des Circuit de Champs de Bataille im Morgengrauen des 28. April 1919 am Place de Broglie in Straßburg versammeln, ahnt noch keiner von ihnen, wie sehr sie sich in den nächsten zwei Wochen mit diesem zähen Sediment befassen werden.“
Mit diesem Einstieg beginnt Marquardts Gravel-Bike Reise durch Frankreich, Luxemburg und Belgien. Über die sanften Hügellandschaften Walloniens, zu den windumtosten Küsten Flanderns, bis auf die hohen Gipfel der Vogesen. Entlang der ehemligen Etappen der Schlachtfelderrundfahrt macht sich der Autor auf, die heute landschaftlich und kulinarisch reizvollen Gegenden zu entdecken. Immer wieder löst er dabei den Blick von der Straße und erkundet Restaurants, Cafés oder Sehenswürdigkeiten. „Eine Entdeckungsreise im besten Sinne des Wortes“, erzählt Marquardt.
„Für einen kleinen Absatz brauchte ich manchmal eine ganze Woche“
Die sogenannte Schlachtfelderrundfahrt war ein Rad-Etappenrennen, das im Frühjahr 1919, nur sechs Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, ausgetragen wurde. Organisiert von einer Tageszeitung, die in finanzielle Schieflage geraten war, sollte das zweiwöchige Spektakel wieder Geld in die leeren Redaktionskassen spülen. „Mit einer Art modernem Gladiatorenkampf“, sagt Marquardt.
Ganze zwei Jahre arbeitete der gelernte Journalist an seinem neuen Buch. Ein Prozess, der nicht immer ganz leicht war. „Zu dem Rennen gab es bis auf englisches und ein niederländisches Buch, nichts. Keine großartigen Aufzeichnungen, nur spärliche Zeitungsberichte und eigentlich keine Fotos“, sagt Marquardt. Das Buch sei in der Recherche-Arbeit viel komplexer gewesen als sein Rennrad-Buch „Auf Asphalt“.
Der Autor besorgte sich schließlich alte Zeitungsberichte und übersetzte Satz für Satz aus dem Französischen, um einen Überblick zu bekommen. Noch lebendige Zeitzeugen gab es nicht und weil das Radrennen nur einmalig stattfand, auch keine späteren Berichte. „Die Zeitungsartikel aus dem französischen Nationalarchiv waren mein Heiliger Gral – meine erste Quelle“, erzählt Marquardt. „Für einen kleinen Absatz brauchte ich manchmal eine ganze Woche“, gibt er zu.
Große Unterstützung erhielt Marquardt von seinen Kollegen von Cleat, allen voran dem Fotografen und Filmer Julian Hartwig, sowie dem Redakteur Nico Wolf. Viele ihrer Fotos finden sich deshalb auch in dem Buch. „Eine irrsinnig große Hilfe war mir auch mein Kumpel Maxim, der mir in Flandern seine Heimat zeigte. Nur durch ihn konnte ich viel Zeit sparen und kam an Orte, die sehr spannend für das Buch waren“, resümiert Marquardt.
„Nach heutigen Gesichtspunkten wäre spätestens ab der zweiten Etappe Schluss gewesen“
Die Geschichte des „Circuit de Champs de Bataille“ ist typisch Radsport: Leidenschaftlich, dramatisch, tragisch, euphorisch. Könnte man zunächst meinen. Doch hinter ihr verbirgt sich eine nahezu schon draufgängerische Verwegenheit, ein Streben nach einem besseren Leben, das sich in dieser Zeit viele Menschen wünschten. „Die Etappen waren fast immer über 300 Kilometer lang, gingen über unmögliche Landstriche – vom Krieg völlig verwüstet. Hinzu kam das miserable Wetter, die schlechte Ausrüstung – ein Albtraum“, so Marquardt. „Nach heutigen Gesichtspunkten wäre spätestens ab der zweiten Etappe Schluss gewesen.“
Doch „Über die Felder“ soll kein Geschichtsbuch sein. Mit drei eng miteinander verflochtenen Handlungssträngen erzählt der Autor die Geschichte der Etappen von 1919, erlebt dabei aber auf seinem Weg die landschaftlich wie kulinarisch reizvollen Gegenden in Frankreich und Belgien. Mal auf Schotter, mal auf Asphalt führen die Touren durch geschichtsträchtige und malerische Landschaften, während man immer wieder in gemütlichen Unterkünften, authentischen Restaurants, charmanten Cafés oder beeindruckenden Sehenswürdigkeiten verweilt. Herausgekommen sind 256 Seiten, voller Geschichten, Fotos, Anekdoten, Reisetipps und Empfehlungen. Als Reiseführer ist das Buch aber laut dem Autor dennoch nicht zu verstehen. „Nein, da gibt es andere, bessere Bücher“, sagt Marquardt. Vielmehr soll „Über die Felder“ einen gewissen „Eindruck“ verschaffen, Neugierde erwecken, selbst mal diese Regionen mit dem Rad zu erkunden.
„„Über die Felder“ erzählt nicht nur von Radsport, sondern auch von Neugierde und Genuss in seiner freiesten Form. Es reflektiert die Legitimität des Radfahrens in Regionen, die untrennbar mit einem tragischen Kapitel der Menschheitsgeschichte verbunden sind“, hält Marquardt fest. Das Fahrrad stünde trotzdem im Mittelpunkt. Es soll auffordern und inspirieren, es den Männern von 1919 gleich zu tun – nur vielleicht mit etwas mehr Zeit, schönerem Wetter und bestimmt besserer Ausrüstung.
„Über die Felder“ hat jüngst seine Premiere im Rapha Clubhouse in München gefeiert. Weitere Lesungen sollen in den nächsten Monaten folgen. Das Buch ist überall im Handel erhältlich, entweder direkt beim Verlag oder natürlich über Amazon.