Liebe Leser,

als ich letztens mit dem Rennrad unterwegs war, forderte mich ein Autofahrer auf, Platz für ihn und seine Blechdroschke zu machen. Natürlich durch dichtes Auffahren und Hupen. Ich quittierte seine Versuche durch Ignorieren, bis er mich beim Überholmanöver so extrem schnitt, dass ich im Bankett landete. Als ich da so in meinen Radschuhen im kniehohen Gras stand und nicht wusste, wie mir geschehen war, musste ich mich an folgendes Zitat erinnern: 

„Radfahren ist kein Spiel, es ist ein Sport. Zäh, hart und erbarmungslos, und es erfordert große Opfer. Man spielt Fußball, Tennis oder Hockey. Beim Radsport spielt man nicht.“ Diese Worte stammen vom französischen Radprofi Jean de Gribaldy.

Was Gribaldy in den Fünfzigern jedoch nicht ahnte: Nicht nur der Radsport, sondern auch das Radfahren an sich sollte in der nicht allzu fernen Zukunft seinen Beschreibungen folgen: zäh, hart, erbarmungslos. Ein Blick auf die jüngst veröffentlichen Zahlen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zeigt es auf. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Fahrradunfälle auf 30 Prozent gestiegen. Laut der Statistik passierten demnach 42 Prozent aller tödlichen Radunfälle außerhalb geschlossener Ortschaften. Im vergangenen Jahr waren es 10.000 schwere Unfälle mit insgesamt 2996 Schwerverletzten und 189 Toten. Zusammengefasst: Jeden Tag werden auf Deutschlands Landstraßen acht Radfahrer schwer verletzt, jeden zweiten Tag stirbt einer.

Die Ursache für diese Misere sind nicht etwa rowdyhaftes Fahren, Drängler oder andere Vollidioten, sondern tatsächlich schlechte Sichtverhältnisse und die Tatsache, dass außerorts die Geschwindigkeitsdiskrepanz zwischen Rad- und Autofahrern um ein vier- bis sechsfaches höher ist. Die gestiegene Unfallzahl lässt sich zum Teil damit erklären, dass es insgesamt mehr Radfahrer (und schnellere) gibt, als noch vor 30 Jahren. Doch eigentlich wird der Straßenverkehr immer sicherer – nur eben nicht für Radfahrer. Erst vor ein paar Wochen hat das Statistische Bundesamt einen Anstieg tödlicher Unfälle mit Radfahrern vermeldet: seit 2010 seien diese um 17 Prozent gestiegen.

Einer, der in diesen Prozentsatz fiel, war der Fahrradaktivist Andreas Mandalka (auch bekannt als Natenom), der im vergangen Jahr an dem starb, wovon er immer gewarnt hatte: Autofahrer, die keine Rücksicht nehmen. Der Lenker eines PKWs hatte ihn übersehen und fuhr ihn von hinten an – und das, obwohl er eine Warnweste trug. Auch der Helm konnte Mandalka nicht retten. Es ist ein tragisches Beispiel dafür, wie groß die Gefahr im Straßenverkehr ist und wie sehr wir sie tagtäglich gekonnt ignorieren. Die Wucht eines Aufpralls mit gerademal 25 Stundenkilometern bei einem Körpergewicht von 65 Kilogramm hat die Auswirkungen von einer Masse von über 3,9 Tonnen. Das bedeutet, dass dies schwerste Verletzungen, wenn nicht sogar den Tod ergeben. Der Autofahrer, der lediglich wütend war, weil ich „seine“ Straße mitbenutzte und resultierend daraus riskante Fahrmanöver ausführte, war sich mit Sicherheit nicht darüber im Klaren, welche Auswirkungen auch nur ein Rempler für einen Radfahrer haben könnte. Dies gilt für wohl für die meisten Autofahrer.

Auf der Heimfahrt mit dem Rennrad huschten mir die infantilsten Rachefantasien durch den Kopf. Tagträumereien von abgerissenen Seitenspiegeln und triumphalen Prügeleien am Straßenrand. Doch mal ganz ehrlich: Was bringt´s? Außer noch mehr Wut, mehr Uneinigkeit, mehr Streit? Nach zehn Kilometern kam ich wieder zur Besinnung – und dann dachte ich daran, wie verschwindend selten mir Situationen wie diese passieren. Natürlich ist der Autofahrer einer weniger großen Gefahr ausgesetzt, als der Radfahrer. Natürlich kann ein Schneiden oder Rempeln für letzteren tödlich enden. Aber mal Hand aufs Herz: Wir haben uns nun mal diesen Sport ausgesucht. Aus freien Stücken. Wer mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug springt, lebt schließlich auch gefährlicher als der Pilot. Und Idioten gibt es nun mal überall. Belassen wir es einfach dabei und lassen uns nicht provozieren. Denn so leid es mir tut, das schreiben zu müssen: Wir ziehen in diesem Kampf den kürzeren – immer. Akzeptiert es, als Radfahrer auf der Verliererseite zu stehen. Oder um es mit Gribaldys Worten zu sagen: „Beim Radsport spielt man nicht.“

Euer

Max & CLEAT-Redaktion

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