Auf der dritten Ausgabe des „Badlands 2022“, einem der härtesten self-supported Ultra-Endurance-Rennen der Welt, galt es dieses Jahr satte 785 Kilometer mit knapp 15.000 Höhenmetern quer durch den Süden Spaniens zu absolvieren. Erschwerend zu den vielen Höhenmetern kam dabei vor allem die Durchquerung der einzigen Wüste Europas. Die Ultra-Radfahrerin Marion Dziwnik, die bereits 2021 an den Start ging und nach 79 Stunden die erste Frau im Ziel war, wollte sich auch dieses Jahr wieder der Herausforderung stellen. CLEAT hat mit Marion über die Entbehrungen und Herausforderungen dieses Ultra-Endurance-Rennens gesprochen.
Fotos: Sebastian Samek/Votec
CLEAT: Marion, du hast dieses Jahr den 27. Platz belegt. Eine wirklich starke Leistung. Kurzum: wie war´s?
Marion Dziwnik: Nachts um 3:30 angekommen nach 67 Stunden 41 Minuten – also ungefähr 12 Stunden schneller als letztes Jahr, absolut großartig. Es lief so viel besser. Ich bin zwar unter den Frauen „nur“ Fünfte geworden, aber dieses Jahr gab es wirklich krasse Konkurrenz..
Warum lief es dieses Jahr besser?
Der erste Tag hat schon super angefangen, ich war gut drauf und das Wetter war viel besser als letztes Jahr. Diesmal hatte es maximal 25 Grad, letztes Jahr hatten wir teilweise um die 40. Durchschnittlich war ich ungefähr 2 km/h schneller und bin grundsätzlich super effizient gefahren, habe nur kurze Pausen gemacht und mich Stück für Stück im Feld vorgearbeitet. Ich bin die meiste Zeit in der Nähe von Luisa (Luisa Werner) und Christiana (Christiana Tamburini) gefahren, Lael (Lael Wilcox, Profi-Ultradistanz-Fahrerin, Anm. der Redaktion) und Cyntia (Cyntia Frazier, Anm. d. Red.) sind vorne weggedampft mit schärferem Tempo.
Wie weit bist du am ersten Tag gekommen?
Am ersten Tag habe ich es bis nach Gor geschafft, Kilometer 265. Das ist der letzte Stopp vor der Sierra de los Vilabres, Wüste ohne Zivilisation und nirgends die Möglichkeit, Wasser aufzufüllen. Deswegen habe ich mich dazu entschieden, vorher kurz zu schlafen, damit ich frisch und motiviert in diesen Abschnitt reingehe und meine Nachtfahrt nicht so lang ist. Es ist keine gute Idee in der Sierra zu schlafen – es geht erstmal 1000 Hm hoch und auf insgesamt 2000 Hm ist es nachts unfassbar kalt. Der Plan war zwei Stunden zu schlafen, aber schon nach einer Stunde war ich wieder wach und hab mich fit genug gefühlt, um weiterzufahren. Witzig war, dass ich die Strecken, die ich letztes Jahr nur im Dunkeln gesehen habe, diesmal im Hellen gefahren bin und andersrum. Das war cool, weil ich wusste, dass es fahrtechnisch eine nicht allzu harte Nacht wird.
Wieso standest du nach deinem Sieg 2021 dieses Jahr wieder an der Startlinie?
Ich habe letztes Jahr einige Fehler gemacht und mir gedacht: „Das geht auf jeden Fall besser.“ Dadurch, dass ich zum ersten Mal ein Rennen gefahren bin, bei dem ich über Nacht fahren und auch draußen schlafen musste, habe ich viele Dinge quasi während des Rennens lernen müssen. Am letzten Tag zum Beispiel war ich super ineffizient, weil ich das Ziel vor Augen hatte und die letzten 50 Kilometer ohne zu schlafen durchdrücken wollte. Aber es ging halt nur bergauf, das Gelände ist sehr unwegsam, man ist irre langsam und braucht für die letzten 50 Kilometer mindestens fünf Stunden oder sogar länger. Das Rennen war überhart, auch weil ich so viele Fehler gemacht habe. Deswegen wollte ich das Rennen einfach gerne noch mal bewusster fahren, und zwar in dem Sinn, dass ich weiß, worauf ich mich einlasse. Ich wollte zwar auch schneller sein als letztes Jahr, aber nicht, indem ich härter fahre und drücke, sondern weil ich effizienter geworden bin und weniger Fehler mache.
Was hättest du dieses Jahr denn gerne optimieren wollen?
Ich dachte mir letztes Jahr vor dem Start, dass ich bestimmt gut in der Natur weit weg von der Zivilisation schlafe, wo ich meine Ruhe und weichen Boden habe. Das war im Endeffekt gar nicht so. Ich habe gemerkt, dass das mit dem Schlafen nicht geht, habe mein Schlaflager zusammengepackt und bin weitergefahren, bis ich zu ein paar einsamen Häusern gekommen bin. Da habe ich dann auf Asphalt geschlafen, was gut war, weil der Boden eben war und es auch ein bisschen Licht gab, um mein Zeug aus- und wieder einzupacken.
„Bei so einem Rennen verbrenne ich 8000 – 9000 Kalorien am Tag. So viel kriegst du bei 40 Grad mit fester Nahrung nicht runter. Das wären ganze neun Pizzen!“
Was wolltest du über den Schlaf hinaus noch verbessern?
Mein Essen. Ich hatte letztes Jahr viel zu wenig gegessen, weil ich wegen der Hitze nichts runterbekommen habe. Das Einzige, was funktioniert hat, waren Gels und Kohlenhydratdrinks, davon habe ich dieses Jahr mehr eingepackt. Bei so einem Rennen verbrenne ich 8000 – 9000 Kalorien am Tag. So viel kriegst du bei 40 Grad mit fester Nahrung nicht runter. Das wären ganze neun Pizzen (lacht) Viel von meiner Nahrung muss ich mitnehmen, denn gerade die ersten zwei Drittel der Strecke sind taktisch interessant, weil es nicht so viele Verpflegungspunkte gibt. Da gibt es verschiedene Schlüsselstellen, wo man sich eindecken sollte. Hinter Gor kommt 120 Kilometer nichts.
Das heißt aber auch, dass du riesige Mengen Wasser mitschleppen musst?
Ich habe fünf Liter dabei, aber es gibt auch immer wieder Wasserquellen. Wobei es in den 120 Kilometern hinter Gor auch keine Quellen gibt, aber immerhin geht es da auf über 1000 Meter Höhe und ist nicht mehr so heiß.
Bist du von der Planung dieses Jahr anders rangegangen, weil du das Rennen schon mal gewonnen hast, oder willst du einfach deine eigene Performance optimieren?
Letzteres. Ich wusste ja nicht, wie die Konkurrenz drauf ist und es waren wieder ein paar starke Frauen am Start. Jeden von denen hat dieses Jahr schon irgendwas gewonnen. Lael Wilcox war da, das ist die Koryphäe des Ultracyclings bei den Frauen. Ich wollte mich aber nur mit meiner eigenen Performance messen und gucken, wie weit ich komme. Wenn ich sehe, was ich da letztes Jahr für eine Performance hingelegt habe, dann denke ich immer noch: „Das war krass!“ Mit drei Stunden Schlaf am Tag komme ich im Alltag eigentlich nicht klar und jeweils 5000 Höhenmeter an drei Tagen am Stück ist auch nicht machbar. Ich habe noch sehr viel Ehrfurcht vor meiner eigenen Leistung. Ich habe letztes Jahr während des Rennens so ein bisschen meine Superkräfte entdeckt, vor allem das Adrenalin, das mich gepusht habe, als ich wusste, dass ich in Führung liege.
Alle Frauen, die als Sieger gehandelt wurden, hatten dieses Jahr schon Rennen gewonnen. Du hattest vor ein paar Wochen die Orbit360-Serie zum zweiten Mal gewonnen. Wie passt diese Serie zu einem mehrtägigen Rennen?
Der große Unterschied ist, dass du beim Orbit360 nur Tagesetappen fährst. Aber du lernst da total gut, effizient zu fahren. Die Strecken sind so lang, dass es darauf ankommt, seine Pausen zu optimieren. Ich bin da auch ganz oft in den Top 5 gelandet, obwohl ich nicht superhart gefahren bin. Ich hatte aber bei manchen Orbits nur eine Pausenzeit von unter fünf Minuten und darauf kommt es bei Ultradistanzrennen an. Dazu kommt bei Gravelrennen auch noch der mentale Umgang mit der Tatsache, dass du nicht vorankommst. Du hast ja nicht nur die Kilometer und die Höhenmeter. Dazu kommt auch manchmal, dass du sehr langsam bist oder irgendwo hochwanderst. Währenddessen musst du trotzdem positiv bleiben.
Hattest du die Orbits auch so akribisch geplant wie das Badlands?
Die letzten beiden Jahre habe ich das gemacht. Da habe ich mir vorher die Karte und das Höhenprofil angeschaut und mir gemerkt, wo es zu essen und zu trinken gibt. Dieses Jahr habe ich das nicht gemacht, weil es sowieso immer anders kommt, als man denkt. Ich habe auch mittlerweile eine Superkraft entwickelt, wo ich Wasser herbekommen kann, zumindest in Deutschland. Friedhöfe, Häuser, Scheunen – das ist ultraschnell. Du fährst hin, füllst deine Flasche auf und es geht sofort weiter. Das hat dieses Jahr gut funktioniert.
„Physiologisch bringt es nichts, länger als fünf Stunden auf dem Rad zu sitzen, da bringen Intervalle mehr“
Hattest du dein Training denn spezifisch auf bestimmte Belastungen ausgerichtet?
Letztes Jahr hatte ich einen richtigen Plan, in dem ich die Orbits eingebaut hatte. Unter der Woche bin ich einen Dreierblock FTP-Building gefahren und am Wochenende einen Orbit. Das habe ich drei Wochen gemacht und dann eine Woche Pause eingelegt, das hat super funktioniert. Dieses Jahr ging das nicht, weil ich viel auf Dienstreisen war und dadurch nicht so systematisch trainieren konnte. Ich bin öfters joggen gewesen und habe die Orbits so geplant, dass ich die jeweils dort machen konnte, wo ich auf Dienstreise war. Das hat besser geklappt als ich dachte, meine FTP hat sich sogar ein bisschen verbessert. Dazu habe ich mich unglaublich gut erholt, weil ich gerade einfach ein schönes Leben habe. Obwohl ich dieses Jahr weniger trainiert habe, bin ich fitter – das ist cool!
Du hast dich in deinem Training nur auf die FTP konzentriert, weil du bei so langen Touren sowieso nicht sprinten musst?
Genau. Du musst im Prinzip auch keine langen Touren fahren, das mache ich nur für den Kopf und für das mentale Training, wenn ich auf langen Touren in meine Tiefs reinkomme. Physiologisch bringt es nichts, länger als fünf Stunden auf dem Rad zu sitzen, da bringen Intervalle mehr.
Die körperliche und mentale Vorbereitung lief also gut, wie sieht es denn mit dem Rad aus?
Das Rad ist viel leichter geworden, das ist jetzt ein Carbon-Prototyp des neuen Votec VRX mit Carbon-Anbauteilen. Die Gangschaltung ist die gleiche geblieben, die Übersetzung ist so ein Mullet Build mit 40 Zähnen vorne und einer 10-52er MTB-Kassette hinten. Das ist sehr viel wert bei den vielen Höhenmetern, die man da wegdrücken muss. Ich finde, das neue Rad fährt sich schneller, entweder weil ich anders sitze oder weil es leichter ist.
Auf welchen Reifen warst du unterwegs? So mancher Fahrer würde das wohl nur mit MTB-Pneus fahren…
Ich fahre Continental Terra Trail in 40 Millimeter, das ist ein Super-Reifen. Mountainbike-Reifen sind nicht mein Style, ich habe auch mal die Continental Terra Hardpack in 50 Millimeter getestet. Ich fühle mich mit so fetten Reifen nicht wohl, ich fühle mich da wie auf einem Traktor. Und das Rennen hat auch echt viele Höhenmeter, weshalb es wichtig ist, leicht unterwegs zu sein. Wenn es zu krass wird, schiebe ich sowieso, tiefen Sand kann ich auch mit 50 Millimeter breiten Reifen nicht fahren und bin deswegen mit 40 Millimeter gut bedient.
Was ist dir an deiner Ausrüstung besonders wichtig?
Mein Taschensetup ist leichter geworden, letztes Jahr hatte ich noch einen dicken Biwaksack und eine Daunenjacke dabei. Die habe ich rausgenommen und mein Gepäck ist dadurch ein Kilo leichter geworden. Ich schlafe jetzt in einem Notfallbiwak mit Seidenschlafsack auf einer Isomatte. Deswegen konnte ich die Taschen aus der Apidura Racing Series fahren. Ich trage Cargobibs von Velocio, das ist megageil. Ich habe mir auf der letzten langen Tour vor dem Rennen in einer Bäckerei ein Stück Strudel gekauft und mir das da reingestopft. Dadurch hatte ich Schenkel wie Robert Förstemann, aber der Strudel hat das gut überstanden und ich konnte den dann 50 Kilometer später essen. Mein Handy ist immer in der Tasche und dadurch kann ich während der Fahrt ganz einfach Fotos machen, das geht mit keiner anderen Tasche so gut. Gerade wenn man auf Schotter unterwegs ist und nicht viel Zeit für ein Foto hat, weil man schnell wieder beide Hände am Lenker haben möchte. Ich habe auch eine Trinkweste von Apidura getragen. Sowieso trage ich alles von Apidura, was ich habe, weil die Marke mich eingeladen und mir den Startplatz geschenkt hat. Unter dem Tretlager ist mein Werkzeug, aber ich habe zwei Flaschen im Rahmen und zwei an der Gabel.
„Du musst effizient fahren, konstant fahren, schnell fahren und dann darfst du auch nicht schlafen – das gehört einfach aktuell dazu“
Viele Ultra-Fahrer beschreiben die Müdigkeit bei solchen Rennen als mitunter größten Gegner. Wie ging es dir damit?
Von der Müdigkeit her war es in Ordnung – ich hatte die Wochen davor supergut geschlafen und habe mir glaube ich so eine Art „Schlaf-Puffer“ aufgebaut – aber mein Körper hat sich in dieser einen Stunde gefühlt nicht richtig erholt. Alles hat wehgetan und das habe ich am zweiten Tag richtig zu spüren bekommen. Und da ich wusste, dass die dritte Etappe nochmal richtig hart wird, musste ich so fit wie möglich da reingehen. Ich bin am letzten Tag allerdings ganz schön eingebrochen, die Müdigkeit hat mich heftig eingeholt, sodass ich mit Sekundenschlaf zu kämpfen hatte. Ich wollte einfach nur durchkommen. Ich hatte immer als Ziel meine Zeit vom letzten Jahr zu unterbieten und ich wusste schon, dass ich das locker schaffen werde. Direkt nach der Zieleinfahrt war ich dennoch erstmal ziemlich deprimiert, weil ich bis zum Ende mit Sekundenschlaf zu kämpfen hatte und das war die Hölle. In den vier Stunden bis zum Ziel habe ich nur gedacht, dass ich das nie wieder mache und dass es die beschissenste Idee meines Lebens war, Badlands wieder mitzufahren, so heftig war das für mich. Das hat meine Freude über diese gute Zeit erstmal gedämpft.
Wie denkst du nun retrospektiv über diese Zeit?
Es kommt so nach und nach und es kann sein, dass sich meine Stimmung in den nächsten Tagen nochmal ändert. Gerade denke ich aber, dass dieses Fahren unter Schlafentzug zu krass ist und dass es vielleicht sogar mein letztes Rennen war, an dem man über Nacht fahren muss, weil es mich so fertig gemacht hat. Wenn man ganz vorne mitfahren will, dann musst du alles mitbringen! Auch bei den Frauen ist das Niveau enorm gestiegen. Du musst effizient fahren, konstant fahren, schnell fahren und dann darfst du auch nicht schlafen – das gehört einfach aktuell dazu. Wenn das die Schraube ist, an der ich drehen muss, dann bin ich raus. So sehe ich das gerade.
Hast du schon etwas für das nächste Jahr geplant?
Ich denke ich werde nächstes Jahr eher nur Tagesrennen fahren, so wie zum Beispiel TheTraka (360km) oder Unbound Gravel. Es könnten aber auch Mehrtagesrennen mit Fähren wie zum Beispiel das Granguarache werden, wo man „gezwungen“ wird, Pause zu machen.