Jahrelang schoss der Berliner Radkurier Henrik Kürschner durch die Hauptstadt-Metropole, lieferte Briefe und Pakete von A nach B und schlängelte sich so schnell es ging durch verstopfte Straßen voller hupender Autos. In der Freizeit ging es auf Radrennen, Brevets und Gruppenausfahrten, teilweise auf mörderisch lange Radreisen. Das Rad: Bewegungsmittel, Freizeitgefährt, Arbeitsmittel, – Lebensinhalt und -Mittelpunkt. Doch eines Tages sollte sich alles ändern. In seiner Kolumne „Aufgerappelt!“ erzählt uns „Henne“ seine ganz eigene, ungeschönte (Rad-) Geschichte.
Text: Henrik „Henne“ Kürschner
Der Tag, an dem es passiert, ist der, der niemals kommen sollte. Aber er ist da. Eben hast du noch kuschelig neben deiner Freundin gelegen, sie hat sich an dich geschmiegt und du denkst, dein Leben, das du bis zu diesem Zeitpunkt hast, eigentlich ganz wunderbar ist. Du stehst auf, machst dir nen Kaffee und merkst dabei, dass da langsam was kommt. Du weißt nur noch nicht, was.
Du merkst plötzlich, wie du die rechte Hand nicht mehr anständig bewegen kannst. Irgendwas ist komisch. Aber das wird sicher wieder besser. Vielleicht hast du dich in der Nacht einfach nur verlegen. Schnell weg mit den düsteren Gedanken. Als Fahrradkurier in einer Großstadt wie Berlin brauchst du beide Hände für den Lenker, aber auch, um dein Rad abzusperren. Die Hände sind wichtig. Und ich denke mir: Das wird schon wieder.
Also mache ich mich los, sage Tschüss zur Freundin, steige aufs Rad. Ab geht es, ich bin drauf und unterwegs, radle am Tempelhofer Feld vorbei und da passiert es: Meine rechte Hand gleitet vom Lenker, ich habe keine Kraft mehr. Fuck, erst gestern bin ich noch mit gefühlten 170 km/h durch die Stadt geknallt, habe Pakete ausgeliefert und jetzt kann ich mich noch nicht mal mehr anständig auf dem Rad halten. Ich verwelke wie in einem Turbozeitraffer. Auch mein rechtes Bein quittiert den Dienst. Dann merke ich, wie mein rechter Mundwinkel herabhängt. So, wie die „weichen Uhren“ von Dalí.
Mit letzter Kraft schaffe ich es zu mir nach Hause. Ich lege mich ins Bett. „Schlaf das mal weg, das wird schon“, sage ich zu mir selbst. Leider wird aber gar nix, ich habe nämlich gerade einen verdammten Schlaganfall – und nicht den blassesten Schimmer wieso, oder warum. Klar, ich bin jetzt schon 48. Aber ich habe in meinem ganzen Leben noch nie geraucht oder getrunken. Klingt komisch, ist aber so. Aber ich weiß, dass ich schleunigst ins Krankenhaus sollte, denn die wissen, was zu tun ist. Ich schleppe mich dorthin und sage mit ziemlich nuscheliger Stimme: „Ich glaube ich habe einen Schlaganfall!“. Das Personal ist ziemlich abgestumpft. Man will mir nicht so recht glauben. Bis ich dann irgendwann ungehalten werde. Ich fange an rumzuschreien, dass es mir schlecht gehe und ich jetzt zusammenbrechen werde, wenn mir nicht gleich einer dieser Schwachköpfe helfen will. Der Typ, der mir am nächsten ist, zuckt zusammen und ruft den Arzt. Endlich passiert hier mal was.
Innerhalb von drei Minuten steht der Stationsarzt vor mir sagt, ich müsse mich hinlegen. Weitere drei Minuten später liege ich auf einer Liege. Nochmal sechs Minuten später werde ich in ein MRT geschoben und bekomme den vernichtenden Befund: Schlaganfall.
Ich soll erstmal im Krankenhaus bleiben, sagt man mir. Man müsse mich zur Beobachtung dabehalten. Dann werde ich aber trotzdem in ein anderes Hospital verlegt, weil es auf dieser Station keine Kapazitäten mehr für „schwere Fälle wie mich“ gäbe. Das klingt beschissen und ich fange an, Panik zu schieben. Was soll das überhaupt heißen „Schwerer Fall“?! Können die mir nicht einfach nur ein paar Pillen geben und alles wird gut?
Nach geschlagenen zehn Tagen im Krankenhaus werde ich erneut verlegt in anderes Krankenhaus. Am Stadtrand bei Marzahn. Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht eh schon mies fühle, aber dass man mich jetzt noch nach fucking Marzahn bringen muss, ist die Spitze dieses Kackhaufens. Nach drei Tagen des Rumliegens kommt einer der Ärzte zu mir und offenbart mir die nächste Hiobsbotschaft. Ich muss am Herzen operiert werden, weil da wohl „irgendwas nicht so gut läuft“. Man kriege das aber „wohl wieder hin“, sagt der Arzt scherzend. Mir ist in diesem Moment nach vielem zumute, aber garantiert nicht nach Lachen.
Dann kommt der große Tag des „wohl wieder Hinbekommens“. Ich werde in den OP-Saal geschoben um dort in einer langen Schlange mit anderen „schweren Fälle“ zu warten. Dann bin ich an der Reihe. Nach einer kurzen Besprechung und ein paar Unterschriften geht es los. Die Ärzte machen ein paar Witze. Alles wird gut. Nur, dass sie mir zu Verstehen geben, dass wohl ab heute nichts mehr so sein wird, wie vorher. Und Radfahren…, darüber verliert erstmal niemand ein Wort. Dann fängt es an zu brennen, als hätte jemand brühend heißen Kaffee in meinen Schritt geschüttet. Das sei nur die Narkose, gibt man mir zu verstehen. Ich solle mich nicht so anstellen.
Der Herz-Katheter ist eine Art Mini-U-Bahn, die einem durch die Arterien geschoben wird, um zum Herzen zu gelangen. Spüren tu ich nix, ich denke nur viel an meinen Sohn und darüber nach, wie er jetzt drauf wäre bei dieser Aktion. Ich fange an zu weinen. Dann schlafe ich ein.
Nach nur einer Stunde bin ich wieder raus aus dem OP-Saal. Drei Tage später schickt man mich nach Hause. Diesmal werde ich von einem Bekannten abgeholt und wir essen noch was auf dem Weg nach Hause. Ich kann kaum glauben, wie sehr ich mein eigenes Bett vermisst habe – und alles andere, was das Leben so lebenswert macht. Auch wenn manches davon jetzt fehlt. Zum Beispiel meine Freundin. Die hat in meiner Abwesenheit mit mir Schluss gemacht. „Es ging nicht mehr“, hat sie gesagt. Tja, was soll´s, denke ich mir. Denn alles, was für mich gerade zählt ist, dass ich noch am Leben bin.
Fortsetzung folgt…
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