Die Münchner Yoga-Lehrerin Christina Ilchmann hat mit „Yoga for Cyclists“ eine Trainings-Session ins Leben gerufen, die rein auf die Bedürfnisse von Fahrradfahrern abgestimmt ist. Als Ausgleich zur meist eher angespannten Körperhaltung auf dem Fahrrad, zeigt sie den Teilnehmern Übungen zur besseren Rumpf-Stabilität und zur Mobilisierung der Regionen, die meist vernachlässigt werden. Unser Redakteur wagte eine Schnupperstunde und sprach im Anschluss mit Christina über Yoga als Ausgleich, das richtige Körpergefühl und (natürlich) Stretching.

Interview: Max Marquardt / Fotos: Katja Brömer / Christina Ilchmann

Cleat: Hi Christina, wie bist du zum Yoga gekommen?

In meiner Jugend war ich eigentlich ziemlich unsportlich. Als ich nach München gezogen bin, war gleich um die Ecke meiner Wohnung ein Yoga-Studio. Da bin ich dann irgendwann mal hingegangen und habe eine Stunde mitgemacht. Danach war ich total begeistert und habe mich dann komplett hineingestürzt.

Was hat dich dabei besonders fasziniert?

Eigentlich das Gesamtpaket: eine Mischung aus Anstrengung und Entspannung, die Art sich zu bewegen und die Ruhe und Stille, der Fokus und die Konzentration, in einer Gruppe.

Hat sich Yoga for Cyclists aus deiner eigenen Leidenschaft für das Radfahren entwickelt?

Ich habe mir vor sieben Jahren mein erstes Cross-Rad gekauft, weil ich unbedingt beim Supercross im Olympiapark in München mitfahren wollte. Nach zwei Jahren nur Zuschauen bin ich dann auch das erste Mal dort mitgefahren.
Bei diesem Event habe ich andere Frauen kennengelernt und ich bin so auch schnell zum Rennradfahren gekommen. Nach einiger Zeit habe ich dann einen kleinen Freundeskreis von Radsportlern um mich geschart, die wiederum ihr Interesse an Yoga bekundet haben.

Inwieweit unterscheidet sich Yoga for Cyclists von regulärem Yoga?

Beim Yoga for Cyclists gehe ich immer von Beweglichkeitsdefiziten aus, die sich durch das viele Radfahren entwickeln. Also irre Sachen wie Beine hinter dem Kopf verschränken oder Spagat fallen da natürlich komplett raus.
Die Stunden sind weniger komplex, weniger dynamisch. Haltungen werden länger geübt um tiefer in die Dehnung zu gehen und die Flexibilität zu verbessern. Es gibt aber auch kräftigende Übungen um bestimme Muskelgruppen (vor allem die Antagonisten der Fahrradbewegung) werden gestärkt. Auch Körperwahrnehmung ist ein großes Thema. Brust- und Hüftöffnung stehen ebenfalls Vordergrund. Also all das, was beim Radfahren beansprucht oder vernachlässigt wird.

Was kann denn Yoga, speziell mit Blick auf das Radfahren, physiologisch denn verbessern?

Ich habe eher das Gefühl, dass man zuerst schwächer wird- denn durch das Yoga entweicht bei vielen eine lang angestaute Grundanspannung aus dem Körper. Insbesondere wenn man das erste Mal verstärkt die Beinpartien „aufdehnt“. Das ist aber normal, denn es geht ja um einen langfristigen und nachhaltigen Effekt. Durch Yoga können wir bestimmte Verletzungen und Risiken dafür sehr gut vorbeugen. Ebenso der einseitigen Belastung, die man durch das viele Radtraining hat, entgegenwirken. Ganz abgesehen von der bereits angesprochenen Flexibilität.

Du fährst selbst viel Rad. Bereitest du dich körperlich vor einer Ausfahrt irgendwie vor oder geht es gleich direkt aufs Rad?

Also, ich mache ja ohnehin jeden Morgen Yoga. Ich folge beim Yoga meinem ganz eigenen Impuls. Mit der Zeit und der Erfahrung eignet man sich ein bestimmtes Repertoire an Übungen und Bewegungen an, die einem gut tun und dann kann man auch ganz eigenständig üben.

Viele unserer Leserinnen und Leser fahren wöchentlich mehrmals Rad. Wie oft sollte man Yoga als Ausgleich pro Woche machen?

Eine Formel dafür gibt es nicht. Einmal die Woche ist natürlich ein bisschen wenig. Zwei bis drei Routinen pro Woche sind durchaus sinnvoll. Es kommt aber auch darauf an, aus welcher Motivation man Yoga macht. Man sollte sich aber nicht von einem Kurs oder einem Lehrer abhängig machen. Es gibt da ja auch Yoga-Studios, die genau mit dieser „Abhängig“ arbeiten. Ich habe da eine andere Herangehensweise. Ich versuche so zu unterrichten, dass ich den Leuten auch ein bisschen was mitgebe. Also wo man jetzt etwas spürt und warum. Wichtig ist, dass man Yoga als etwas wahrnimmt, das einem gut tut und man es deshalb in seinen Alltag einbaut.

Inzwischen haftet Yoga nicht mehr der esoterische Ruf von einst an: Es überwiegt sogar der Aspekt der reinen Fitness, als der einer gewissen Spiritualität. Dennoch assoziieren viele damit Batiktücher, grünen Tee und Perlenketten. Hat sich Yoga weiterentwickelt?

Yoga würde ich jetzt nicht als eigenständigen Sport oder als Fitness betiteln. Es geht dabei ja um die Körperwahrnehmung die Schulung davon. Dazu gehört aber auch, dass man bewusst Pausen einlegt – in Bezug auf das eigene Training.

Also eine Form der selbstreflektorischen Herangehensweise?

Wenn man so will, ja! Und zwar in allen erdenklichen Lebenslagen. Nicht nur den Sport betreffend. Eigenverantwortung dafür, wie man sein Leben bestreitet. Yoga ist ja ein ganzheitlicher Lebensansatz. Yoga als Ausgleich und Bewegungs- oder Entspannungsform ist womöglich näher an den Leuten dran, als viele denken. Achtsamkeit ist Begriff, der ziemlich trendy geworden ist. Trotzdem ist es so, dass viele Menschen heutzutage den Sinn ihres Daseins hinterfragen. Sie konsumieren bewusster und gesünder. Ein Bewegungsaspekt der sich mit dem eigenen Körper beschäftigen lässt.

Also ein Stück weit Eigenverantwortung?

Definitiv. Und zwar nicht nur um die Fragestellung „Woher kommt das Fleisch, das ich esse?“ oder „Wo wurde das Kleid, das ich trage, hergestellt“, sondern: Wie wirtschafte ich mit meiner Energie? Warum mache ich diesen Job? Das soll jetzt nicht heißen, dass man kündigen, nach Portugal auswandern und ein Surf-Hostel aufmachen soll (lacht). Aber, dass man sich bewusst mit sich selbst und seiner Beziehung zur Umwelt und Gesellschaft
auseinandersetzt.

Ist das auch der Grund, warum du deine Stunden Open-End gestaltest?

Absolut! Viele sind ja nach der Yoga-Stunde oft in einem sehr entspannten Zustand. Manche greifen dann danach auch nochmal zur Black-Roll, machen Atemübungen oder bleiben einfach noch ein bisschen liegen. Das hat dann auch nicht sowas von einem Frontalunterricht.

Du bietest deine Kurse derzeit, bedingt durch die Pandemie, via Zoom an. Das Problem: Wie kannst du auf etwaige Fehlstellungen und schlechte Bewegungen der Kursteilnehmer eingehen?

Natürlich ist es mir bei Onlinekursen nicht möglich auf die korrekte Ausrichtung der Haltung zu achten. Ich sehe es als Teil der Übung, seine eigene Körperwahrnehmung zu schulen und auf sich selbst zu achten. Durch sehr präzise Anleitung und vielen kleinen Hinweisen denke ich aber, dass es auch Anfängern möglich ist, einem Onlinekurs zu folgen und ohne grobe Fehlhaltungen zu „erüben“.

Die Belastungen der unterschiedlichen Radsportarten sind verschieden. Ein Downhiller oder Dirtfahrer beansprucht andere Muskelgruppen, als jemand, der nur Rennrad fährt. Gibt es für die verschiedenen Disziplinen auch verschiedene Yoga-Ansätze?

Bei den YFC Kursen geht um das Ausgleichen der Grundposition eines Fahrradfahrers – gar nicht so speziell um die Intensität der Belastung. Individuell stellen unterschiedliche Biker sicher fest, dass die eine oder andere Übungen ihnen mehr abverlangt oder ihnen nicht so schwer fällt. Hinzu kommt ja noch die körperliche Grundvoraussetzung. Aber auch da heißt es wieder: Selbstverantwortung und Körpergefühl, es ist an jedem selbst, die Haltungen anzupassen und sich nicht blind durch die Stunde schleppen und stupide Anweisungen zu folgen.

Wird es nach der Pandemie auch wieder Kurse in Präsenz geben?

Ich bin gerade in den letzten Zügen einen Raum für wöchentliche YFC-Kursen in München zu organisieren. Da der Großteil der Teilnehmer allerdings gar nicht aus München oder Bayern kommt, wird es weiterhin die Onlinekurse geben. Die Präsenz in München ist dann ein Zusatz sein. Diese Kurse in München würde ich gerne auch so gestalten, dass die Community gestärkt wird und auch gemeinsame Touren vor oder nach den Kursen stattfinden. Ich liebe es, gleichgesinnte Menschen zusammen zu bringen.

Welche Möglichkeiten gibt es, mit Dir in Kontakt zu treten und einen Kurs zu buchen?

Ich freue mich immer über ganz spontane Nachrichten via Instagram oder per Email. Das gilt übrigens für alle, die mit mir üben – ich stehe jederzeit für Fragen und Anregungen zur Verfügung, wenn vor allem bei Onlinekursen Unklarheit bezüglich der Yogapraxis generell oder zu bestimmten Haltungen ganz spezifisch herrscht. Es gibt immer Möglichkeiten im Gespräch oder per Video aufeinander einzugehen. Der persönliche Kontakt ist mir sehr wichtig, ich freue mich einfach, zu wissen, was die Leute beschäftigt, was sie zum Yoga bringt, wie es ihnen geht. Vor allem bei Onlinekursen, wo es mir nicht möglich ist, die Stimmung der Personen aufzunehmen oder die Praxis zu beobachten und ab und an Hilfestellungen zu geben. Das geht mit manchen Schülern soweit, dass sie sich sogar „abmelden“, wenn sie aus privaten Gründen oder wegen einer Verletzung mal länger nicht am Kurs teilnehmen können. Das freut mich sehr, ich fühle mich verbunden mit Yogis, die ich noch nie persönlich gesehen hab. Darüber hinaus muss ich zugeben, dass Instagram für mich ein super Tool ist, um zu sehen, was meine Yogis machen, was sie beschäftigt und so weiter. Bilder spiegeln immer eine bestimmte Grundstimmung wider und von der ausgehend wird eine Gruppe für mich greifbarer.

Alle Infos, Preise und Daten zu Yoga for Cyclists findet ihr hier

PS: Wer keine Lust mehr auf Sport vor dem Bildschirm hat, kann auf dem Gravel Camp Allgäu bei einer Yoga-Session mit Christina mitmachen.